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Kultur: Süß ist der Tod

Münchner Opernfestspiele: Auftakt mit Verdis „Forza del destino“

Nirgends, das dürfte bekannt sein, wird schöner, ausführlicher und lächerlicher gestorben als in der Oper. Am schönsten bei Giuseppe Verdi. „Die Macht des Schicksals“, großes Finale, scena ultima: Der Bariton trägt einen Dolch zwischen den Rippen, auch die Sopranistin – vom Bariton, der ihr Bruder ist, gemeuchelt – liegt längst in ihrem Blute, während der Tenor auf einem Pappmachéfelsen thront und die rechte Hand nach oben reckt, gen Himmel. „Salita a Dio!“, so die Worte des Paters (Bass), der dem grausigen Geschehen beiwohnt, „emporgestiegen zu Gott!“, was sich zweifellos auf die Sopranistin, auf Leonora, die Primadonna des Abends bezieht. Die hatte die Hälfte des Stückes in Klöstern und Einsiedeleien zugebracht. Zwanzig Minuten lang darf sie nun, tödlich getroffen, noch singen, von böser Rache und heiliger Liebe, dann ist’s aus. Ein paar letzte apotheotische Klänge aus dem Graben, ein Verwehen des Lebens und der Musik, Vorhang. Und die Münchner Opernfestspiele haben ihre Eröffnungspremiere. Mei, recht schee war’s.

Es wäre leicht und schwer zugleich, sich in einer Aufführung mit einer Aufführung über das Opernsterben als solches lustig zu machen. Leicht, weil das mit den Sterben und dem Singen nun einmal auf der Hand liegt. Und schwer, weil Verdis Musik jegliches Zucken der Mundwinkel gewissermaßen bindet und delegiert, an andere Stellen, in andere Sphären des Stücks – und es hier durchaus als seine ureigenste, vornehmste Aufgabe erachtet, das Aushauchen von Seele in Töne zu kleiden, den Übertritt in eine andere, bessere Welt.

So oberflächlich ästhetisierend David Aldens Inszenierung sich dagegen ausnimmt (Bühne: Gideon Davey), so wenig sie diese Oper als Menschengeschichte erzählt, so ermüdlich die Sänger vier Stunden lang vorne an der Rampe vom Standbein aufs Spielbein steigen und wieder zurück, und so kasperletheatergleich, so kunsthistorisch prätentiös das Geschehen von einem Chortableau ins nächste kippt: Dieses Schlussbild, wie der Himmel mit Händen nicht zu greifen ist, und wie auch Carlo (mit charakterstarkem Verdi-Bariton: Mark Delavan) sich noch an jenen Pappmachéfelsen krallt, als hätte er verstanden – es erklimmt einsam die Höhe der musikalischen Disposition. Wir Menschen, sagt Verdi, der gnadenlose Realist, gehören auf den Boden der Tatsachen. Wir haben nur dieses eine Leben, und das ist schnell vorbei.

Dabei: Was gäbe dieser Plot, diese herrliche Räuberpistole nicht alles her! Romane, Vorabend-Serien, schweißtreibend-große Kinoabende: Alvaro, der Tenor, erschießt Leonoras Vater, den Marchese von Calatrava, die Liebenden fliehen, werden getrennt, ein Krieg zieht herauf, Leonora geht ins Kloster, Alvaro trifft auf Leonoras Bruder Carlo, den Bariton, der ihn zum Duell fordert, woraufhin Alvaro ebenfalls ins Kloster geht, wo er wiederum auf Leonora trifft, der Rest siehe oben ...

Kante auf Kante, stumpf auf stumpf setzt Verdi die Affekte. Und auch der Wust an Nebensträngen und Nebenpersonal, all die Mönche, Soldaten, Zigeunerinnen, Marketenderinnen und Maultiertreiber (prächtig in seinen samtweichen Piani, federnd-präzise in der Rataplan-Nummer: der Chor der Bayerischen Staatsoper in der Einstudierung von Andrés Máspero) sind nicht dazu angetan, das Ganze zu vermitteln oder zu homogenisieren. Im Gegenteil: Wer spricht, hat Recht, sagt die Partitur, und aus dieser krähenden Vielstimmigkeit, aus diesem Splitterwerk formt sich die Welt.

Fabio Luisi am Pult des Bayerischen Staatsorchesters allerdings ist es weniger um das Mosaikhafte, Gestische, formal Janusköpfige zu tun, als um Schönheit und Melodie. Das Schicksalsmotiv entfacht schon in der Ouvertüre eine ziemlich äußerliche Willensglut, und besonders den querständigen Buffo-Szenen um die Hure Preziosilla (Dagmar Peckova) fehlt so gut wie jeder Witz, alles Zugespitzte, irgend Fiese. Während Kurt Moll als Padre Guardiano mit nach wie vor saftig-sonoren Tiefen beim Münchner Publikum ein Heimspiel feiert, und Franco Farina sich trotz einiger Heiserkeiten als Alvaro durchaus zu steigern weiß, enttäuscht ausgerechnet Violeta Urmanas Leonora.

Der Fachwechsel zum dramatischen Sopran hat ihr offenbar nicht gut getan. Obwohl sie die Kraft und auch die Höhen für die Partie hat, hört sich vieles – vom Gebet des ersten Aktes bis zu den „Maledizione“-Rufen im vierten – merkwürdig körperlos an und monochrom. Als sänge sie mit gespannten, sehnigen Stimmbändern, ja als hätte sie sich, ehedem eine Ausdruckssängerin par excellence, mit einem Mal unter die Vielen, die vielen Verwechselbaren gemischt. Festspiel-Ovationen.

Christine Lemke-Matwey

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