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Nura und Juju aus Berlin sind SXTN.

© Maximilian Kamps

SXTN live in Berlin: "Stell dich nich' so an, denn ich bin hier der Mann"

Provokationslust, geschnorrte Joints und ein bisschen Politik: Das Berliner Rap-Duo SXTN beendete seine Tour mit einer ausverkauften Show im Berliner Huxleys Neue Welt.

Ein BH fliegt auf die Bühne, dann noch einer und immer mehr. Schwarz, weiß, türkis, pink. „Wir können einen Dessousladen aufmachen“, freuen sich Juju und Nura vom Berliner Rap-Duo SXTN. Sie finden Telefonnummern, Grüße und Fotos auf den Innenseiten und sind sichtlich begeistert von ihrer Fanpost, die zudem bestens zum nächsten Song überleitet. Er heißt „Ausziehen“ und fasst das sexuelle Selbstverständnis von SXTN in der Brigde zusammen: „Zeig ma' bisschen Haut und zieh dich aus/Stell dich nich' so an, denn ich bin hier der Mann/ Wackel mit dem Arsch auf der Bühne/ Mach ihn hart, gib dir Mühe/ Ich will Spaß, also weg mit dem BH“. Beim ersten Mal singt Nura den Part, dann Juju, dazu wird mit dem Hintern gewackelt und getanzt. Beim Refrain springt der gesamte Innenraum des ausverkauften Huxleys Neue Welt auf und ab, „Ausziehen, ausziehen“ grölen alle.

SXTN beenden hier eine einmonatige Deutschland-Tour durch mittelgroße Clubs, die sie alle ausverkauft haben. Die Begeisterung für die Berlinerinnen, die im Sommer ihr Debütalbum „Leben am Limit“ veröffentlicht haben, ist ungebrochen. Im Dezember gibt es weihnachtliche Zusatzshows, unter anderem in der Columbiahalle. 

Sie nennen sich selbst "Fotzen"

Im stetig wachsenden Feld weiblicher deutscher MCs haben sich SXTN als eine Art politisch unkorrekte Alternative zu Rapperinnen wie Sookee oder auch Schwesta Ewa weit nach vorne gerappt mit einer einfachen, aber offenbar funktionierenden Masche: Ihre Texte sind genau so aggressiv und sexistisch wie die einiger männlicher Kollegen, allen voran Porno-Rapper Frauenarzt, mit dem sie schon auf Tour waren. Dazu gehört auch, dass sich SXTN - etwa im Eröffnungsstück ihrer Platte, mit dem sie das Konzert beginnen - selbst als Fotzen bezeichnen, wodurch dieser Ausdruck als Beschimpfung ins Leere laufen soll - ähnlich der Umdeutung des Wortes „Bitch“ im englischen Sprachraum. Und um eine weitere abwertend gemeinte Bezeichnung gleich mitabzuräumen, nennen sie sich auch gern mal Lesben, obwohl ihre Lyrics eindeutig in eine heterosexuelle Richtung gehen. Wobei SXTN mit dem Stereotyp der passiven, lieben und hübschen Lady brechen. Bei ihnen wird gekotzt, geflucht und gesoffen. 

Das Konzert ist ab 18

Sie repräsentieren ein hartes, dominantes Frauenbild, dichten sich selbst einen Phallus an, mit dem sie Männer in die Schranken weisen, reproduzieren dabei allerdings auch die frauenverachtenden Aspekte der Hip-Hop-Kultur. Beispielsweise in dem Track „Hass Frau“, den die beiden im Huxleys gleich als zweites Stück spielen. Sie kündigen MC Schwarzer als Gast an, womit Alice Schwarzer gemeint ist. Der Track wird mit gesampelten Satzfetzen eröffnet, die aus einer Talkshow stammen, in der die Feministin ein Lied des Rappers King Orgasmus One zitierte. SXTN spielen mit dessen Frauen-Unterwerfungsfantasie, drehen sie weiter mit Zeilen wie „Hass Frau, du nichts, ich Mann/ Blase, bis du kotzt, aber kotz auf mein'n Schwanz“. Es wird in der Folge noch drastischer - inklusive Vergewaltigungsszenario einer betäubten Person (das Konzert ist übrigens ab 18). Das kann beim besten Willen nicht mehr als feministische Selbstermächtigung gesehen werden, es ist schlicht menschenverachtende Provokationslust. Und wohl auch das traurige Spiegelbild einer misogynen Szene.

Kifferhymne und Botschaft an die Jungs

Dass SXTN in ihrem Ehrgeiz die krassesten der krassen Bräute zu sein, derart über jegliche Geschmacksgrenzen hinausschießen, ist ein bisschen schade, denn sie können rappen, harmonieren gut, haben eine starke Bühnenpräsenz und sind auch witzig. Wenn sie sich etwa vor ihrer Kifferhymne „Bongzimmer“ mit geschnorrten Joints in zwei Campingstühle lümmeln und noch ein bisschen rumquatschen, kann man sich vorstellen, dass es großen Spaß macht, mit ihnen zu feiern. Wie sie sich während der knapp zweistündigen Show immer wieder in den Arm nehmen, miteinander tanzen und lachen, zeugt von einer großen Vertrautheit und Innigkeit.

Dass sie durchaus auch politisch sind und eine frauenstärkende Vorbild-Rolle spielen können, blitzt gelegentlich auf. Etwa als sie direkt nach „Ausziehen“ das Stück „Er will Sex“ spielen. Über einen massiven Trap-Beat singen sie im Refrain die gedehnten Zeilen „Du willst mich ficken/ Aber du darfst es nicht, weil ich's verbiete/ Ich bin zu für dich!“. Und als Ohrwurm-Merksatz für die Herren im größtenteils jungen Publikum fügen sie zum Finale „Nein heißt nein“ in der Melodie von „Life Is Life“ an. Das hätte auch auf die #MeToo-Demo einen Tag zuvor am Hermannplatz gepasst.

Refugees are welcome here!

Einen weiteren Melodienklau im Dienste der guten Sache begehen SXTN bei „Ich bin schwarz“, das auf dem Achtziger-Hit „Ich will Spaß“ von Markus basiert. Während sie es vorträgt lässt sich die dunkelhäutige Nura, die kürzlich ein Video von der Zerstörung eines AfD-Plakats ins Netz stellte, vom Publikum in einem Schlauchboot herumreichen. Sie spielt einen Flüchtling der übers Meer treibt und Deutschland erreichen will. Eine halbgare Aktion, aber am Ende skandiert die Menge: „Refugees are welcome here!“

Es ist ein äußerst ambivalenter Abend an dem auffällt, dass eines bei SXTN völlig fehlt: Liebeslieder. Selbst wenn sie singen „I was made for love“ geht es um Sex, denn der Song ist aus der Sicht einer Prostituierten geschrieben. „Zeig' meine Gefühle nicht, denn keinem sind sie wichtig/ Viel zu lang hab ich schon auf mich selbst verzichtet/ Dafür hab ich jetzt 'ne Geschichte“, heißt es da. Vielleicht trauen sich SXTN ja irgendwann mal über ihr Gefühle zu rappen. Das wäre mutig, vielleicht sogar krass. 

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