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Rafik Schami, deutsch-syrischer Schriftsteller, aufgenommen am Hanser Stand auf der Buchmesse.

© Susannah V. Vergau/dpa

Schami-Roman "Die geheime Mission des Kardinals": Syrien war schon 2010 ein zerfallender Staat

Rafik Schamis neuer Roman "Die geheime Mission des Kardinals". Am Mittwochabend stellt Schami den Roman im Berliner Pfefferberg vor.

Warum liefert jemand einen italienischen Kardinal, eingelegt in einem Fass mit Olivenöl, bei der italienischen Botschaft in Damaskus ab? Was hatte Kardinal Angelo Cornaro in Syrien im Herbst 2010 vor? Und wer hat ein Interesse am Tod des Kardinals? Der syrische Geheimdienst tut alles, den Vorfall zu vertuschen. Er könnte unliebsame diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen.

Mit diesem ungewöhnlichen Kriminalfall beginnt Rafik Schami seinen Roman „Die geheime Mission des Kardinals“ (Carl Hanser Verlag, München 2019. 432 S.. 26 €.), der aber nur vordergründig ein Kriminalroman ist.

Schami nutzt den Fall, um einen tiefen Einblick in die syrische Gesellschaft kurz vor Ausbruch der syrischen Revolution zu geben. Noch herrscht Frieden in Damaskus. Kommissar Barudi, der mit der Aufklärung des Falls betraut wird, steht ein paar Monate vor seiner Pensionierung.

„Wenn ich zurückblicke, so ist mein Leben eine lange Kette von Niederlagen, im Privaten wie im Berufsleben“, notiert er am 18. September 2010 in sein Tagebuch, das er fortan führt, da er noch nicht einmal gegenüber seinen Kollegen und seinem vertrauten Hausarzt wirklich offen und ehrlich sein kann. „Was der Geheimdienst nicht auf direktem Weg erfährt, indem er Menschen verführt oder erpresst, spioniert er durch Wanzen aus. Er macht jeden gefügig“.

Schami entwirft ein Mosaikbild der syrischen Gesellschaft

Aber Barudi ist mit über vierzig Dienstjahren in Damaskus eine Größe, unbestechlich und korrekt, ein Kriminalist der alten Schule, der sich standhaft geweigert hat, der Baath-Partei beizutreten. Karriere war ihm nicht wichtig, und nach dem Tod seiner geliebten Frau Basma entwickelte er sich immer mehr zum Einzelgänger.

Barudi soll den Fall aufklären, er wusste, „dieser Fall könnte heikel werden. Er würde es mit Geheimdienstlern, Politikern, Islamisten und Mafiosi zu tun bekommen.“ Aber am besten wäre es, die Geheimdienste außen vor zu lassen, um ausländische Einmischung zu vermeiden und sich rein auf Kriminaltechnik und Indizien zu stützen.

Mit Hilfe seines Chefs, der über Beziehungen bis hin zum Präsidenten verfügt, gelingt es, den Fall diskret zu behandeln. Barudi bekommt Verstärkung durch Commissario Marco Mancini aus Italien, der Arabisch spricht, sich für den Nahen Osten interessiert und mit der Mafia auskennt. Als Journalist getarnt hilft Barudi bei den Ermittlungen.

Der Kriminalfall ist der eine Erzählstrang des Romans, der zweite ist das Tagebuch Barudis, in dem er sein bisheriges Leben reflektiert, kleine Episoden, die es dem meisterhaften Geschichtenerzähler Schami ermöglichen, Steinchen für Steinchen ein Mosaikbild der syrischen Gesellschaft unter der Knute der Baath-Partei zu schildern.

Außerdem entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung mit einer Nachbarin, die Barudi vor ihrem prügelnden Ehemann rettete. Auch die Begegnungen mit Mancini geben Schami die Möglichkeit, dass der syrische Kommissar in kleinen Geschichten und Anekdoten den Italiener mit den syrischen Gepflogenheiten vertraut macht. So entsteht das vielschichtige Bild einer Gesellschaft in der Diktatur, in der es auch um das Überleben geht. Man schimpft auf das Regime, aber man weiß auch, die Mechanismen für sich zu nutzen.

Schließlich geht es in dem Roman um ein Grundübel unserer Zeit, den wachsenden Aberglauben. „In einer unterdrückten Gesellschaft ist der Aberglaube wie ein Spinnenfaden, in dem man das Stahlseil sieht, das einen rettet. Man geht dann nicht mehr zum Arzt“, hat Schami vor Erscheinen des Romans im Tagesspiegel gesagt.

Aberglaube versetzt ganze Völker

„Glaube versetzt selten Berge, Aberglaube immer ganze Völker“, dieses Motto setzt Schami als Resümee seiner bisherigen Beobachtungen an den Anfang des Romans. Offensichtlich sollte sich der Kardinal um das Wirken eines Bergheiligen bei Aleppo kümmern, der durch bloßes Handauflegen totkranke Menschen angeblich heilen konnte.

Merkwürdig ist, dass der Bergheilige Muslim und konservativen Muslimen ein Dorn im Auge ist. Aber selbst diese schicken in ihrer Verzweiflung ihre kranken Angehörigen zu dem Wunderheiler. Und auch Generäle der syrischen Armee lassen sich von einer berüchtigten Wunderheilerin salben.

Auf ihrer Reise nach Norden zu dem Bergheiligen geraten die beiden Kommissare prompt in Gefangenschaft von Islamisten. Sie treffen dort auf Scharif, einen Gotteskrieger, den Barudi und seine erste Frau Basma als Kind fast adoptiert hatten. In Scharif zeichnet Schami nachvollziehbar den Weg eines Islamisten nach. „Mein Leben lang werde ich meine Anhänger daran erinnern, dass wir alle, auch die Christen und Juden, Kinder Abrahams sind“, so Scharif.

Schami zeigt in seinem vielschichtigen Roman, dass der syrische Staat schon im Herbst 2010 am Zerfallen war, dass es in dieser Gesellschaft nicht nur Anhänger Assads und Widerstandskämpfer gab - sondern in der großen Mehrheit Menschen, die irgendwie in diesem schrecklichen System überleben wollten und dabei unterschiedliche Wege gingen.

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