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Der Schmelzende Bär

© Robert Ide

Tag 3 bei der Berlinale: Steineklopfer und schmelzende Bären

Damit Timothée Chalamet nicht stolpert, rackern sich andere ab. Die Geheimnisse des Kinos liegen unterm Pflaster. Unser Autor hat die ersten entdeckt.

Robert Ide
Eine Kolumne von Robert Ide

Stand:

200 Filme – wer soll das schaffen? Ich pendel mich ein: drei bis vier Premieren am Tag, drei bis vier Stunden Schlaf in der Nacht. Am liebsten würde ich die auch noch weglassen, um durch den stillen Schnee zu stapfen. Wenn Berlin leise ist, erzählt es am meisten von sich.

Mit dem Ehrenbären in der Hand erzählt Tilda Swinton, wie sie sich in die Berlinale verliebt hat: beim Schneebälle-Schmeißen 1986 vor dem Zoopalast. Diesmal hat jemand einen kleinen Schneemann am Roten Teppich gebaut. Den könnten sie bei der Preisverleihung noch vergeben. Goldener Bär. Silberner Bär. Schmelzender Bär.

„Ich muss das Eis wegätzen“, ruft Alex und richtet den Bunsenbrenner aufs Pflaster. Alex klopft seit 25 Jahren Steine, „da bin ich immer an der frischen Luft“. Vorm Berlinale-Palast haben sie beim Aufbau die Gabelstapler zu lange stehen lassen, nun liegen Berlins Steine lose im märkischen Sand. Mit dem Bunsenbrenner taut Alex den Sand auf, seine zwei stummen Kollegen klopfen gegen die Einlaufmusik am Roten Teppich an. „Wir sollen uns beeilen, bevor die nächsten Stars kommen“, ruft Alex. „Die Reichen sollen ja nicht hinfallen.“

Alex und seine Kollegen hauen für die Berlinale rein.

© Robert Ide

Festen Schrittes und im pinken Muscleshirt nimmt Timothée Chalamet die Berlinale für sich ein. Der umkreischte Hollywood-Star besingt im schwungvollen Mitsumm-Musikfilm über den jungen Bob Dylan die losen Steine in uns: „How does it feel? / To be without a home. / Like a complete unknown / Like a rolling stone.“ Den Dahinschmelzenden Bär gewinnt er schon mal.

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Wenn das Kino leise ist, erzählt es am meisten von uns. Wie im verträumten slowenischen Film „Little Trouble Girls“, in dem die 16-jährige Lucia in einem Klosterchor ihre Sexualität entdeckt und sich fragt, ob sie sich Männern, Frauen oder Gott hingeben soll. Als sich Lucia zum ersten Mal selbst befriedigt, wird nur ihr Hals gezeigt, ihre auf und ab keuchende Kehle. So sieht man, ohne es zu sehen, wie alle losen Steine in ihr beben.

Unterm stillen Schnee knirschen unsere Geheimnisse. Ich brauch grad keinen Schlaf.

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