
© Robert Ide
Tag 7 bei der Berlinale: Manege frei für den Neustart
Nach der Hälfte der Berlinale braucht unser Autor eine Auffrischung. Die findet er in der Schminkbox und beim Zirkus. Hier trifft er einen weisen Clown.

Stand:
Zweite Halbzeit bei der Berlinale, ich fühle mich wie mein Handy: Speicher voll, Akku andauernd leer, ab und zu gibt es Ausfälle. Bei der Mittagsvorstellung penne ich kurz ein, mein eigenes Schnarchen weckt mich. In der Reihe vor mir sitzt die Filmcrew, diese Leute haben jahrelang an ihrem Werk gearbeitet. Mehrere haben sich zu mir umgedreht und gucken mich scharf an. Ich entschuldige mich, gehe raus in die Sonne. Ich brauch ‘nen Neustart.
„Können Sie was machen, damit ich nicht so müde aussehe?“, frage ich die Frau in der Schminkbox, die sie auf den Potsdamer Platz gestellt haben, damit der nicht so leer in Berlins Mitte rumsteht. Die Frau mit knallig roten Lippen trägt mit einem Pinsel Farbe unter meinen Augen auf und sagt dabei: „Deine Haut hat einen blassen Olivton.“ Danach Concealer, etwas zum Abdecken, ein bisschen Glitzer, eine glänzende Creme für die Lippen, ein Hauch Schwarz für die Augenbrauen. Schon kann ich wieder weitermachen bis zum Morgengrauen.

© Robert Ide
„Jeder Clown braucht Schminke, damit er ein Clown sein kann“, sagt Uropa Ehe zu mir. Gemeinsam mit seinen Urenkeln Santino und Giordano sitzen wir auf einer Couch im Zoo-Palast und reden über die Rastlosigkeit des Lebens. Die drei leben in einer Zirkusfamilie, gemeinsam mit ihren Verwandten und ihren Tieren sind sie das ganze Jahr über in Deutschland unterwegs. Ihr Zuhause sind Wohnwagen und eine Familie, die schon seit Generationen übers Land fährt. „Früher haben sie uns Zigeuner genannt, viele sind in den Lagern der Nazis ermordet worden“, erzählt Uropa Ehe, der eigentlich Georg heißt und mit 86 immer noch als Clown auftritt. „Wir dürfen das nicht vergessen, heute nicht und nicht in 1000 Jahren.“
Die Weltpremiere der schönen Kinderfilm-Doku „Zirkuskind“ über die Familie des „Circus Arena“ fühlt sich an wie eine Zirkusvorstellung. Die anwesenden Schulklassen trampeln, jubeln und johlen, wenn sie dem elfjährigen Santino zusehen, wie er in der Manege balanciert, das Zelt mit aufbaut und wieder abbaut, die Tiere versorgt, die Erwachsenen tröstet, schon Motorrad fährt und vor den Vorstellungen in die Schule geht, alle paar Wochen als Gast in eine neue.
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„Es ist schwer, Freunde zu finden, wenn man immer woanders ist“, erzählt Santino hinterher auf der Couch. Die Lehrer seien zwar neugierig auf sein Leben. „Aber oft darf ich die Klassenarbeiten nicht mitschreiben, obwohl ich dafür gelernt habe. Die geben mir ein Blatt Papier und sagen: Hier, mal einfach was.“ Uropa Ehe schmerzt diese Erzählung. „Sie sind immer noch die Fremdkinder“, sagt er traurig.
Aber nun Manege frei für einen Neustart. „Solange es Kinder gibt, wird es den Zirkus geben“, sagt der weise Clown und lacht schon wieder. „Lachen ist gesund“, sag ich. „Wenn man mit dem Herzen lacht“, sagt er. Wir lachen uns an. Und mein Leben ist wach.
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