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Kultur: Täuschung ist Gewinn

Berliner Festwochen: Porträt der Komponistin Olga Neuwirth

Faszination Luigi Nono, Faszination Naum Gabo, russischer Konstruktivist, Faszination Surrealismus in Gestalt des französischen Erzählers Raymond Roussel. Olga Neuwirth lässt sich faszinieren, wie sie gern sagt – um mit ihrer Musik zu antworten. Ein Festwochen-Porträt der Komponistin, veranstaltet als Musikalischer Salon der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, zeigt, dass in diesem Fall auf vielfältige Weise das Schöpferische aus der Anregung kommt. Dabei ist Neuwirth zweifelsfrei als winner zu erkennen.

Eine Lust am Intellektuellen bricht hervor, wenn sie sich im Gespräch mit dem SFB-Redakteur Wilhelm Matejka auf ihre Lebensstationen und Faszinationen einlässt. 1968 in Graz geboren, dem Land früh entflohen, Studium in San Francisco (Malerei und Film), Wien, Paris, wichtige Anregungen durch Adriana Hölszky, 1999 Uraufführung des Bühnenwerkes „Bählamms Fest“ in Wien, Libretto Elfriede Jelinek, mit der sie sich auf einer „Meta-Ebene des Verständnisses“ befindet. Die beiden Frauen planen als nächstes eine Annäherung an den Film „Lost Highway“ von David Lynch. Als Kind hat Neuwirth Trompete gelernt, um ein „weiblicher Miles Davis“ zu werden. Ein Unfall setzte dem ein Ende. Aber das Musiktheater „The Long Rain“ nach dem Science-Fiction-Autor Ray Bradbury, das in Donaueschingen 2000 fasziniert hat, macht einen Trompeter zum Mittler zwischen Ensemble und Filmleinwand.

Die damalige Zusammenarbeit mit dem Klangforum Wien setzt sich fort bis in das Programm, mit dem sich die Komponistin, nach einem längeren Venedig-Aufenthalt nun Wahlberlinerin, im Kammermusiksaal präsentiert. Titel wie „incidendo/fluido“ für Klavier solo (Marino Formenti) und Zuspiel-CD oder „torsion: transparent variation“ gefallen sich in Gegensatzpaaren. In Bewegung brechen Akkorde ein, Leerstellen geben Energie, das Ungreifbare dominiert. Im zweiten Stück, einem Fagottkonzert (mit atemberaubender Atemtechnik: Pascal Gallois), gehen lineare Elemente und Klangwucht komplexe Wechselwirkungen ein. Paten des Werkes sind keine Geringeren als Naum Gabo mit seinen dynamischen Plastiken, Arnold Schönberg und Daniel Libeskind mit den „Voids“ des Jüdischen Museums. Klezmerklänge hallen wie von fern, solche Zuspielungen geben den starken Stücken eine Aura von Erinnerung und Kindlichkeit. Wenn das Klavier mit den Ondes Martenot oder in „locus . . . doublure . . . solus“ mit einem elektrischen Tasteninstrument live zusammengeht, ergeben sich gezielte Unschärfen, Klangschatten, die vom Soloinstrument räumlich getrennt werden (Dirigent: Emilio Pomarico). Olga Neuwirth liebt die Klangsensationen, die sich mittels Umstimmungen um einen Viertelton erzielen lassen, die Unschärfe verschobener Klangfarben bedeutet Gewinn.

Die Musikalität ist von der autarken Art, mit Hörgewohnheiten Schindluder zu treiben: das Ungreifbare wird Ereignis, die Täuschung, das Umkippen ins Ungewisse, ob als Vergnügen oder als Irritation oder beides. Dabei kann regelmäßiges akkordisches Schreiten als Überraschungseffekt und ein Crescendo wie moderner Rossini erscheinen. „ecstaloop“ für Sopran (Petra Hoffmann), Sprecher, Sampler und Ensemble spielt mit Überblendungen von Texten unterschiedlichster Lyriker, eine Montage gestischer Musik, Klangwirbel, geflüsterter Alltag: „Man wird jetzt immer stärker verlangt am Telefon.“ Sybill Mahlke

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