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Kultur: "The Short Century": Am Kap der guten Hoffnung

Der Schriftsteller Saul Bellow hat jüngst festgestellt, dass die Zulus bis heute noch keinen Tolstoi hervorgebracht haben. Man hätte ihn für feiner gehalten, aber seine Bemerkung fügt sich ins überhebliche Selbstbild der westlichen Welt, wo außer Europa und Amerika nicht viel gelten darf.

Der Schriftsteller Saul Bellow hat jüngst festgestellt, dass die Zulus bis heute noch keinen Tolstoi hervorgebracht haben. Man hätte ihn für feiner gehalten, aber seine Bemerkung fügt sich ins überhebliche Selbstbild der westlichen Welt, wo außer Europa und Amerika nicht viel gelten darf. Wo wären denn auch die afrikanischen Rembrandts, Turners, Hoppers und so weiter? Also bitte.

So gesehen beginnt die Ausstellung in München wie eine selbstbewusste Antwort auf diesen Hochmut. Der Besucher von "The Short Century" in der Villa Stuck läuft prompt auf Ernest Mancobas "Composition" (1948) zu, eine glühend pastose Farborgie, die sich deutlich an den Idealen einer Künstlergruppe orientiert, deren Gründungsmitglied Mancoba auch war: Cobra. Mancoba (Jahrgang 1904) stammte aus Südafrika, war und hatte zuvor schon Giacometti und Sonja Ferlov in Paris kennen gelernt. Die Cobra-Literatur verschweigt den Südafrikaner (Jahrgang 1904) und Giacometti-Freund beinahe. Mancoba steht für das Konzept der Ausstellung: Zu sehen ist nahezu ausschließlich Kunst, die sich an den Avantgarden des Westens orientiert. Die "Negerplastik" - in Europa noch immer Inbegriff afrikanischer Kultur - kommt nicht vor.

Wie viel Europa (und Amerika) verbirgt sich im Afrikanischen, wo doch die meisten Künstler außerhalb ihres Kontinents studiert und gearbeitet haben? Und was ist das für ein Afrika, das im Afrikanischen steckt? Okwui Enwezor, Chef der Documenta 11 im kommenden Jahr, konzipierte die anschließend nach Berlin, Chicago und New York reisende Ausstellung. Mit Exponaten von über sechzig Künstlern hat der 37-jährige Nigerianer und Wahl-New Yorker die vergleichsweise kleine Villa Stuck förmlich voll gestellt, aber nicht überfüllt. Im Gegenteil: Die kreuz und quer gerichteten Projektionen zwischen den Ausstellungsstücken sorgen dafür, dass einen "Unabhängigkeit und Freiheitsbewegungen in Afrika von 1945-1994", so der Untertitel der Ausstellung, buchstäblich nicht loslassen. Die zeitlichen Eckpunkte sind der 5. Panafrikanische Kongress, auf dem Afrikas Weg in die Unabhängigkeit beschlossen wurde, und die Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten Südafrikas.

Paint it Black

Stilistisch jedoch mag Enwezor keine Grenzen ziehen, so dass häufig Entwurf und Wirklichkeit direkt nebeneinander stehen: geplante und reale Städte, afrikanischer Gigantismus und afrikanische Gegenwart. Zwelethu Mthethwa fotografierte die Menschen auf Schaumgummimatratzen hinter ihren Wellblechwänden, dass man glaubt, neben ihnen zu sitzen. Überhaupt gibt es eine große Anzahl exzellenter Fotografien, zu denen auch die Körperlandschaften Touhami Ennadres gehören.

Dass die afrikanische Kulturgeschichte sich endlich ihrer selbst vergewissern kann, dafür hat Enwezor insgesamt drei Jahre geforscht und viel verschollene Kunst zu Tage gefördert. Dazu gehören zahlreiche Dokumentarfilme, die den Kolonialismus auf der immer letzten Party zeigen, vor allem bei den Parodien der Schwarzen auf die Weißen schon in den fünfziger Jahren. Wer wen nachahmt, daran lässt eine großformatige Arbeit von Ouattara, einem in New York lebenden Künstler aus Abidjan, keinen Zweifel. Unter einer gewaltigen, gemalten Maske zeigt sich eine zweite Schicht, die für das Bewusstsein prägend gewesen ist: Wie gepflastert erscheinen nebeneinander Plattencover von John Coltrane, Charles Mingus und Bob Marley. "Hip-Hop, Jazz" nennt Ouattara das Werk. Die Gesichter der Rolling Stones auf der Hülle von "Black und Blue" werden gerade noch von groben Pinselstrichen gestreift: Paint it Black.

Durch Enwezors "Kurzes Jahrhundert" ist kein richtiger Rundgang möglich, schließlich schiebt sich - wie auf einem Bazar - immer wieder Neues ins Blickfeld. In 56 Holzkästchen von Sue Williamson, eine in Kapstadt lebende Engländerin, stecken 56 mal zwei südafrikanische Pass-Seiten. Es gab da kein Entkommen, es sei denn, man schaffte den Anschluss an eine Sprache der Welt, die fast jeder versteht. Pascale Marthine Tayou hat für "Cameroon Embassy" Fußbälle, Stiefel und die grün, rot, gelbe Landesflagge mit dem Stern in der Mitte unter einem Fernseher arrangiert als Erinnerung an den größten Erfolg einer afrikanischen Mannschaft bei Weltmeisterschaften - 1990 in Italien.

Zynisch? Ironisch? Dokumentarisch? Es ist nicht leicht, eine Antwort darauf zu finden, zumal sich immer wieder Geräuschspuren in den Gedankengang mischen, dazu neue Bilder: etwa Thomas Mukarobgwas Ölgemälde von 1962, das fast nur aus Augen besteht in Gestalt von zwei weißen Punkten vor wild bewegtem schwarzem Hintergrund. "Dying People in the Bush" hat eine ungebärdige Kraft, die sich mühelos auf jeden Betrachter überträgt, und ein nicht gleich zu erschließendes Geheimnis. Zumindest darin unterscheidet es sich nicht von großer amerikanischer oder europäischer Kunst. Die meisten Bilder von Mukarobgwa hängen denn auch nicht in Harare, Zimbabwe, sondern in New York, im Museum of Modern Art.

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