
© Lukasz Bak
„The Ugly Stepsister“ auf der Berlinale: Blut ist im Schuh – und nicht nur da
Die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt inszeniert „Aschenputtel“ als Körperhorror-Film. Eigentlich erstaunlich, dass das so lange gedauert hat.
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Es ist ein Dilemma. Alles, was Aschenputtels Stiefschwestern tun müssen, um den begehrten Prinzen zu heiraten, ist, in einen Schuh zu passen. Aber bei der einen ist die große Zehe zu lang und bei der anderen die Ferse zu groß. Gott sei Dank hat ihre Mutter ein Messer und eine Lösung parat: Einfach abhacken!
„Wenn du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen“, so die bestechende Logik. Blöderweise machen zwei Täubchen den Königssohn gurrend auf die Selbstverstümmelung aufmerksam: „Rucke di guh, Blut ist im Schuh.“
Angesichts dieser steilen Grimmschen Vorlage ist es eigentlich erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis Aschenputtel als Bodyhorror verfilmt wurde – einem Genre, das mit radikal-grotesken Veränderungen des Körpers spielt und das in den vergangenen Jahren Regisseurinnen erobert haben, um den alltäglichen Körperhorror des Frauseins zu symbolisieren.

© Marcel Zyskind
In ihrem Debütfilm „The Ugly Stepsister“, der in Sundance Weltpremiere feierte und bei der Berlinale im Panorama startet, erzählt die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt die Aschenputtel-Geschichte aus der Perspektive der „hässlichen“ Stiefschwester.
Zu hässlich für den Prinzen
Elvira (Lea Myren als eindrückliche Scream-Queen), ihre jüngere Schwester Alma (Flo Fagerli) und ihre Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) kommen auf dem Hof von Otto und seiner bezaubernden Tochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss) an, wo Rebekka und Otto sich vermählen – beiderseits aus finanziellen Gründen, wie sich herausstellt. Doch als Otto in der ersten gemeinsamen Nacht das Zeitliche segnet, ist der Schock groß, als die Hinterbliebenen feststellen: Geld hat hier niemand.
Die einzige Lösung ist es, den Prinzen zu heiraten, der bald auf einem Ball eine passende Jungfrau auswählen wird. Die naive Elvira macht sich große Hoffnungen – bis ihr, mehr oder weniger diplomatisch, vermittelt wird, dass sie als Kandidatin nicht in Frage kommt: Sie sei einfach zu dick und zu hässlich, um gegen den Charme einer Agnes anzukommen.
„The Substance“ lässt grüßen
Während ihrer Stiefschwester alles zuzufliegen scheint, muss Elvira hart arbeiten für das, was sie erreichen will. Doch Elvira ist zumindest eins: fest entschlossen. Mit der Unterstützung ihrer skrupellosen Mutter nimmt sie jede Qual auf sich, lässt sich die Nase brechen und falsche Wimpern einnähen – natürlich alles detailliert in Nahaufnahme gezeigt.

© Marcel Zyskind
Emilie Blichfeldt hat sichtlich Spaß mit den Nadeln, den Hämmern, dem Blut. Auch der Rest des Films ist von verstörender Schönheit, die opulenten barocken Kostüme, der Kerzenschein – alles wirkt wie ein Stillleben, das langsam verwest.
Doch natürlich steckt auch eine politische Botschaft hinter dem Horror. Denn das, was sich viele Frauen antun, um sich dem Ideal anzupassen, ist so weit gar nicht entfernt von den qualvollen Prozeduren, die Elvira über sich ergehen lässt.
Spätestens als Elvira einen Bandwurm schluckt, der ihr beim Abnehmen helfen soll, ist klar, dass dieses Märchen für sie nicht glücklich bis ans Lebensende ausgehen wird. Äußerlich wird sie immer schöner, von innen langsam aufgefressen. Und da sind ihre Füße noch ganz.
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