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Szene aus „Terra In Cognita“.

© Marlies Kross

Theater in Cottbus: In der Rumpelkammer deutscher Geschichte

Musik und Bilder, die sich einbrennen. Das wilde Welttheater des Multikünstlers Jo Fabian am Staatstheater Cottbus.

Niemand kann sagen, er sei nicht gewarnt worden. Bevor der Vorhang im Staatstheater Cottbus hochgeht, bevor hier getrommelt wird, in computeranimierten Bildwelten ägyptische Sklaven, Gladiatorenkämpfer und rote Fahnen aufeinandertreffen, bevor sich das Publikum auch ein bisschen beschimpfen lassen darf und Joseph Beuys für die Pausenunterhaltung sorgt, ist auf der Bühne ein Satz von William Faulkner zu lesen. „Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht mal vergangen.“ So wird dieser Abend dann auch sein: Vergangenes, Gegenwärtiges und vielleicht auch Künftiges steht nebeneinander. Und keiner macht sich die Mühe, es auseinanderzuklamüsern.

„Terra In Cognita“ nennt Regisseur Jo Fabian das Stück. Es ist seine zweite Produktion, seitdem er im Herbst Cottbuser Schauspieldirektor wurde. Der Titel ist als doppelte Ansage zu verstehen: in Schichten der Vergangenheit vorzustoßen – und zu zeigen, wie die heute noch wirken. In Cottbus, wo gut 26 Prozent der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl die AfD gewählt haben, ist die Frage nach deutscher Vergangenheit ein hochaktuelles, politisches Unterfangen. Zudem will Jo Fabian mit „Terra In Cognita“ das weite Land abstecken, in dem er sich künstlerisch selbst bewegt. Bühne, Videos, Kostüme und Choreografien: alles von Jo Fabian. Der Text – viel ist es nicht – entstand mit den Schauspielern während der Proben. Eine Arbeit mit Bekenntnischarakter.

„Terra In Cognita“ ist als Triptychon gedacht, es gibt zwei Pausen. Im 20-minütigen ersten Teil gibt ein Trommler in Schwarz (Lars Neugebauer), eine Gestalt zwischen Zeremonienmeister und Sklaventreiber, einer Gruppe von Ruderern den Rhythmus vor. Nur die Ruder sind zu sehen, sie ragen aus Bullaugen in den Raum hinein: das Kollektiv bleibt eine entmenschlichte Masse. Im Hintergrund erscheint auf einer Videowand eine weiße, haarlose, später vielköpfige Gottheit, die zwischen Lachen und Schreien grimassiert. Dann sind Fetzen eines Chorals zu hören, von unten bohren sich die Singenden durch eine Membran in den Bühnenraum. Rauch weht herein. Was eben noch an eine Geburtsszene erinnerte, verengt sich zur Gaskammer. Dann die erste Pause. Eine freundliche Stimme wünscht denen, die das Theater jetzt verlassen möchten, einen guten Heimweg. Nur wenige gehen.

„Hier riecht’s nach totem Hasen!“

Zu Beginn des zweiten Teil wabert Musik von Hans Zimmer durch den Saal, dazu schleppen sich videoanimierte Sklaven in Ketten vorbei, ein SS-Mann sitzt unter einem Strauch, im blassblauen Himmel hängt ein Ziffernblatt, eine rote Fahne weht. Dann kommen die Schauspieler zum Zuge. Im selben Bühnenraum stehen jetzt Bettgestelle. Ein Krankenhaus, eine Flüchtlingsunterkunft, ein Irrenhaus? Ein SS-Mann (Michael von Bennigsen) spielt in der Mitte Schach. Später wird er Flamenco tanzen, einen Rock tragen und brüllen: „Wollt ihr die totale Mietverweigerung?“ Eine Frau schluchzt derweil dauerhysterisch. Weiterhin vertreten sind: ein Klischee-Jude mit abnehmbarem Bart, ein Mann mit Axt und abgehackter Hand, ein weiterer Mann mit Hut à la Joseph Beuys. Nicht er, sondern der Priester (David Kramer) wird sich später ans Publikum wenden und, Beuys zitierend, rufen: „Hier riecht’s nach totem Hasen! Hier riecht’s nach Cottbuser Theater!“ Und überhaupt: „Dieser applaudierende deutsche Frohsinn!“

Zwischendurch zucken alle in dieser Rumpelkammer deutscher Geschichte immer wieder von dem Geräusch eines Schlages zusammen. „Unser Land ist“– wumms – „christlich geprägt.“ Es wird Tiroler Liedgut gesungen, am Ende landen alle auf einem Floß – davon kommt, natürlich, keiner. Alle sind sie gefangen in diesem Boot, das „Wir“ heißen mag.

Jo Fabians Abend liefert Musik und Bilder, die sich einbrennen, unverhohlen auf Emotionen abzielen. Im dritten Teil trommelt das Ensemble gemeinsam, schwarz vermummt. Statisch erst, bedrohlich. Dann verrutschen ein paar Tücher und aus der gleichgeschalteten Masse werden Trommler, die sich aus freien Stücken an der eigenen Musik berauschen. Ein erstaunlicher, fast utopischer Moment.

Wieder am 20. 4., 3./29. 5. sowie 20. 6.

Lena Schneider

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