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Emil und die Detektive

© dpa

Theater: Kinder, Castorf, Krise

Infamie der Großstadt: Die Berliner Volksbühne jagt "Emil und die Detektive" - und sich selbst.

Ist das jetzt die komplette Regression? Oder ein Voodoo-Zauber? Erst holt er seine sechs Jahre alte Zürcher Inszenierung von „Berlin Alexanderplatz“ in die Volksbühne, die schon eine Weile keine Erfolgsbühne mehr ist. Und dann spielt er auch noch in derselben Kulisse mit einem Kinderensemble „Emil und die Detektive“ – in einer Hybrid-Fassung beider Romane aus dem Jahr 1929, als die deutsche Literatur ihr annus mirabilis erlebte (im gleichen Jahr erschien auch noch Remarques „Im Westen nichts Neues, Thomas Mann erhielt den Nobelpreis) und die Weltwirtschaftskrise begann.

Was ist los mit unserem Helden, was treibt Frank-Alfred-Erich Kästner-Döblin-Castorf, wie wir ihn nennen wollen, immer wieder an den Tatort Alexanderplatz zurück? Es hat etwas von einem Rückzugsgefecht des berlinischsten aller Berliner Regisseure. Früher bezog die halbe Stadt aus dem Heizkraftwerk Volksbühne ihre kulturelle Energie. Heute wird einem kalt ums Herz, wenn man den Bau betritt. Die Volksbühne wirkt wie eine der überdimensionierten Berliner Kirchenschiffe vom Ende des 19. Jahrhunderts – der Geist hat sich verflüchtigt.

Es ist sattsam bekannt, dass aus dem Sponti, dem Rocker, der verehrten Zwielichtgestalt, dem großen Erneuerer des Hauptstadttheaters, den man einst, Anfang der Neunziger, zum Jagen in die Intendanz der Volksbühne tragen musste, ein Ewigkeitsabkanzler von Helmut-Kohlschen Graden geworden ist. Castorfs Vertrag läuft bis 2010, mit einer Option auf weitere drei Jahre, er wäre dann 21 Jahre im Amt und macht allmählich Wolfgang Wagner in Bayreuth Konkurrenz. Dass am Rosa-Luxemburg-Platz ein bedrohlicher Exodus der Protagonisten und Regisseure zugelassen wurde, wer will das bestreiten? Dass die Volksbühne offenbar nach russischem Muster in schwer durchschaubare, semidiktatorische Verhältnisse zurückfällt– all das erzeugt einen bohrenden Theaterweltschmerz.

Schließlich macht sich der Meister auch noch daran, die eigene Geschichte umzuschreiben. „Die Volksbühne ist kein Schauspieler-Theater, wo man hinkommt, um den und den zu sehen“, polterte der 56-Jährige kürzlich in der „Berliner Zeitung“. Schlimmer Unfug. Natürlich war das Castorf’sche Regietheater – wie auch das Theater eines Peter Zadek oder Peter Stein – immer ein Theater der Schauspieler, der Spielmacher und Führungspersönlichkeiten. Selbstverständlich waren Kathrin Angerer, Sophie Rois, Henry Hübchen, Herbert Fritsch, Martin Wuttke Publikumsmagneten. Wenn auch nichts ewig währt, schon gar nicht im Theater, so darf man nicht abtun, was einmal war. Was auch die Grundlage des Castorf’schen Verweilens ist – der Siegeszug seiner mittleren Jahre.

Jetzt aber erstmal zu den Kindern. Sie sind zwischen 9 und 13 und sie spielen wunderbar. Erich Kästners Bücher haben ja auch etwas Bieder-Gemütliches, davon ist in diesem Räuber-und-Gendarm-Spiel nichts zu spüren. Sie toben durch Bert Neumanns Containerzeile, und man kapiert, dass der Kerl, der Emil in der Eisenbahn das Geld klaut, ein armes Schwein ist. Er heißt Grundeis, und der Arsch geht ihm auf selbiges. In den Close-ups auf der Leinwand – Castorf arbeitet wieder mit Kameramann auf der Bühne – sieht man es besonders schön, Milan Peschels panisch verzerrtes Gesicht. Peschel ist so sehr Opfer einer sich verselbstständigenden Menschenhatz, wie er ein Schuft ist; ein kleiner, sympathischer Durchbeißer.

Das klingt sowieso viel mehr nach Biberkopf und Döblin. Castorfs Kästner, verschwurbelt mit „Alexanderplatz“-Zitaten, atmet eine diffuse Prekariatsatmosphäre. Die Infamie der Großstadt. So könnte man die dreistündige Schnitzeljagd betrachten, fiele man nicht immer wieder in diese tiefen Löcher, die Castorfs unkonzentrierte Regie offen lässt. Viel besser, und auch nur in Momenten, funktioniert „Emil und die Detektive“ als giftiges Weihnachtsmärchen: Wenn Volker Spengler mit seinem Furcht erregenden Bass die Initiative ergreift. Wenn Michael Schweighöfer mit Zottelbart und Pennermähne Emils Großmutter markiert; ein großer böser Wolf in der Kittelschürze. Wunderbar, die beiden Brüller!

Von Franz Hessel, der wie Kästner und Döblin in den zwanziger Jahren über Berlin schrieb, stammt die Beobachtung, dass diese Stadt sich schneller wandle als ein Menschenherz. Hier liegt der Schlüssel zur Volksbühnen-Malaise – und bei den Kindern. Ihre unbeschwerte Präsenz auf der Bühne ist verräterisch. Denn in den Zeiten, als die Volksbühne Maßstäbe setzte, besaßen die Schauspieler, die Regisseure dort genau das – Kraft, Witz, Autonomie, Aggressivität, Anarchie. Das Haus Castorf war der größte Abenteuerspielplatz der Republik.

Wie sehr sich Castorf der Verluste bewusst ist, zeigt sich in einer kleinen Kästner-Szene: Emil, gespielt von dem elfjährigen David Gabel, setzt sich ans Klavier und hämmert einfach drauflos. Henry Hübchen war für solche Einlagen berühmt – damals ein Spielkind von vierzig oder fünfzig Jahren.

Kein anderes Theater hat so lange, so erfolgreich, so heroisch gegen das Älterwerden angespielt. Dieses Sich-Anstemmen gegen die Biologie der Bühne hat zu viel Kraft gekostet. Der Münchner Intendant Frank Baumbauer, einst Castorfs Weggefährte, sprach einmal von sieben Jahren Halbwertzeit, ehe eine Intendanz, ein Ensemble abgleitet. Castorfs Volksbühne ist gefangen im eigenen Historismus und nimmt ihr Stammpublikum als Geisel. Es bekommt den eigenen Alterungsprozess gnadenlos vorgeführt.

Wem die Stunde dämmert. Ein Lieblingsfilm von Castorf ist Roberto Rodriguez’ und Quentin Tarantinos „From Dusk till Dawn“ , immer wieder bei Volksbühnenaufführungen eingespielt: ein lustiges Massaker unter Untoten.

Einst hat uns Frank Castorf mit der schönsten aller Illusionen verzaubert – dass Leben wie Theater und Theater wie Rock ’n’ Roll sein könnte. Alterslos, wenn nicht unsterblich. Ein fataler Irrtum. Auf die Frage, wie man da herauskommt, weiß niemand eine Antwort. Am wenigsten der Volksbühnenmeister selbst.

„Emil und die Detektive“ gibt es in zwei Versionen. Freigegeben ab 17 Jahren am 23. und 29. 12., ab 9 J. am 9., 11. und 25. 12.

Rüdiger Schaper

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