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Die zentralen Ticketschalter der Berlinale, 2017 in den Potsamer Platz Arkaden.

© / dpa/Rainer Jensen

Tickets für die Berlinale: Nachruf auf die Schlange

Warten vor den Ticketschaltern? Das ist Geschichte. Erstmals verkaufen die Berliner Filmfestspiele ihre Tickets zu hundert Prozent online.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Stell dir vor, es ist Berlinale, und es gibt keine Schlange. Ja, sie war schon irgendwie Kult, eine vitale Nachfahrin der legendären MoMA-Schlange vor der Neuen Nationalgalerie, beim New Yorker Berlin-Gastspiel 2004, oder auch der noch älteren, nicht minder legendären Philharmoniker-Fan-Schlange vor dem Scharoun-Bau, damals, zu Karajans und Abbados Zeiten.

Eigentlich sind Kultur-Warteschlangen ja blöd. Zeitraubend, nervenzehrend, ungesund. Aber ihr Anblick ist enthusiasmierend.  All die tickethungrigen Früh- und Zuallererst-Bucherinnen und -Bucher an den zentralen Vorverkaufsboxen in den Potsdamer Platz Arkaden, wie sie in ihren aneinandergereihten Schlafsäcken und auf Klappstühlchen ausharrten, Thermoskannen und Stullen aus ihren Rucksäcken hervorkramten – sie signalisierten, hier ist der Mittelpunkt der (Film-)Welt.

Vor allem Sonntagnacht campierten sie hier, bevor die Kassenhäuschen am Montagmorgen zum ersten Mal öffneten. Und immer wieder halbe Nächte lang während des Festivals. Im frühen Morgengrauen wuchs die cineastische Schicksals- und Abenteuergemeinschaft um viele Meter an, es sah toll aus.

Schlange heißt: Hier tanzt der Bär. Hier warten sie vor dem Tor zum Paradies auf Einlass, hier nimmt die Liebe zum Film, zu den Künsten Gestalt an. Und sie bewegt sich doch, Richtung Schalter, langsam, aber sicher.

Das Publikum ist der Star, das alte Berlinale-Motto lässt sich getrost auf andere Kulturschlangen übertragen, und es hat sich nicht erledigt. Nur die Schlange als manifester Ausdruck dieses Mottos ist Geschichte.

An diesem Montag beginnt der Vorverkauf für die Berlinale, wie immer um 10 Uhr. Allerdings zu hundert Prozent online, erstmals in der Geschichte des Festivals. Vorbei die Zeiten, in denen sich Hunderte fröstelnd die Beine in den Bauch standen, Opfer brachten im Namen der Filmkunst, mit dem Festivalprogramm als ihrer Bibel. Schlangestehen bedeutet jetzt: dem Server vertrauen. Ohne Geduld geht das bekanntlich auch nicht.

Und die Arkaden am Potsdamer Platz? Heißen neuerdings „The Playce“. The place to be für Berlinale-Fans ist erstmal vor dem PC, dem Laptop, am Handy. Die Schicksalsgemeinschaft ist virtuell geworden. Ab Donnerstag stehen wir dann wieder Schlange vor den Festivalkinos, begehren Einlass, ganz in echt und hautnah.  

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