Kultur: Tiefe Brunnen
Sabiha Sumars brisantes Politdrama „Silent Waters“ berührt ein dunkles Kapitel Pakistans
Die pakistanische Dokumentarfilmerin Sabiha Sumar gehört nicht zu den egomanischen Raubrittern des Gewerbes. Dazu hat sie sich zu oft mit den Mechanismen der Ausbeutung beschäftigt. Ihr Thema: Patriarchale und religiöse Strukturen, die besonders Frauen immer wieder zu Opfern machen. Aber auch zu Kämpferinnen, wie die Arbeiterinnen, die sich in „Wer wirft den ersten Stein“ (1987) gegen die Einführung der Scharia wehren. Oder die tamilischen Guerilleras in „Suicide Warriors“ von 1996.
Im gleichen Jahr, bei den Recherchen für einen Film zum 50. Jahrestag der pakistanischen Unabhängigkeit 1947, stieß Sumar auf ein besonders dunkles Kapitel indisch-pakistanischer Geschichte. Und auf Frauen, denen das Schicksal mit der Identität auch jeden Kampfgeist genommen hatte. Sie hatten schreckliche Geschichten zu erzählen, von Verschleppung und Mord zu beiden Seiten der damals neu entstandenen indisch-pakistanischen Grenze. Geschichten, die endlich dem Schweigen entrissen werden mussten. Aber sollte man die damaligen Opfer wirklich noch einmal vor die Kamera zerren?
Es war dieser Konflikt, der die 1961 in Karachi geborene Regisseurin zu ihrem ersten Spielfilm brachte, der ihr auf dem Filmfestival in Locarno im vergangenen Jahr gleich den Goldenen Leoparden eintrug. Plot, Story, Schauspieler: Bei der ungewohnten Form habe sie sich ganz auf ihren Instinkt verlassen, erzählt die ebenso zierliche wie energische Frau. Doch ganz so viel ästhetische Unschuld will man Sumar, die in New York und Cambridge Politik studiert hat, bevor sie mit dem Filmemachen anfing, doch nicht zutrauen. Dass neben dem Bauch auch gründliche Recherche und das Beharren auf Authentizität im Detail eine Rolle spielten, gibt sie bereitwillig zu. So wurde nicht nur an Originalschauplätzen in Pakistan gedreht, sondern – neben dem indischen Schauspielstar Kirron Kher in der Hauptrolle – fast alle Nebenrollen mit Laien besetzt.
Nicht einmal eine Zeile nehmen im „Ploetz“ die Kämpfe ein, die 1947 in den an Indien angrenzenden Gebieten des neugegründeten Moslemstaates Zigmillionen zur Flucht trieben, weil ihre ethnisch-religiöse Herkunft nicht mehr zur neuen Grenzziehung passte. Etwa eine Million Menschen starben. Zehntausende Moslem- und Sikhfrauen wurden allein im indisch-westpakistanischen Punjab von der jeweils anderen Seite verschleppt. Doch gefährlicher als der Feind waren oft die Männer der eigenen Familie, die ihre Schwestern und Töchter in den Selbstmord trieben, um sie der vermeintlichen Entehrung zu entziehen. Manche Frauen zogen die Flucht und Weiterleben an Seite des Feindes dem Ehrentod vor. Später wurden sie dann oft von zwischenstaatlichen so genannten Recovery-Programmen gegen ihren Willen in die alte Heimat zurückgebracht.
Frauen als territorialpolitische Verfügungsmasse: Auch Ayesha, die Heldin von „Silent Waters“ ist so eine Entflohene. So weit hat die mittlerweile verwitwete Frau sich der neuen Umgebung angepasst, dass sie Koranstunden für die Nachbarskinder gibt. Dass sie als Sikh geboren wurde, weiß im Dorf niemand – bis eines Tages ihr Bruder auftaucht, um sie zur Versöhnung ans väterliche Sterbebett zu bitten.
„Silent Waters“ bettet diese Geschichte in ein Umfeld gefährlich zunehmender religiöser Fanatisierung, die in der Entfremdung von Ayeshas eigenem Sohn – etwas dürftig vermittelt – ihren privaten Gipfel findet. In drei Zeitebenen wird das erzählt – die letzte, nur kurz angespielt, ist fast im Jetzt und macht wenig Hoffnung. Doch im Gespräch mag sich Sumar nicht als Pessimistin geben. Kulturell gebe es zur Zeit frische Ansätze und offene Räume, allerdings in bescheidenem Rahmen. Auch das indisch-pakistanische Verhältnis hat sich etwas entspannt. Während der Dreharbeiten hatten noch bizarre außenpolitische Hindernisse die Produktionsarbeiten behindert. So mussten die indischen Teile der gemischten Crew umständlich über Dubai an die naheliegenden pakistanischen Drehorte eingeflogen werden: Ein erheblicher Kostenfaktor für einen budgetmäßig eher kleinen Film.
Das Hauptproblem für unabhängige Filmemacher in Pakistan sieht Sumar jedoch in der fehlenden Infrastruktur. So hat der brisante Film nicht unter politischen Restriktionen, sondern unter dem fehlenden wirtschaftlichen Wagemut der Verleiher zu leiden. Weshalb „Silent Waters“ auf einer vom niederländischen Hubert-Bals-Fond subventionierten Tournee dem heimischen Publikum vorgestellt wurde. Der Erfolg und die Reaktionen auch in der Provinz gaben Sumars vorsichtigem Optimismus Recht. „Die Leute sind keine Fortschrittsgegner, sie wollen Veränderung und Glück.“ Der Regisseurin, die immer noch in Karachi lebt, ist das wohl wichtiger als ein Leopard.
In Berlin in den Kinos fsk, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei und Neue Kant Kinos (alles OmU)