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Seit 2015 verfügt das Museum über einen eleganten neuen Ausstellungsflügel.

© Kinezle/Oberhammer

Kulturland Brandenburg: Tierisch modern

Das Museum Neuruppin feiert eine große Tochter der Stadt, die Bildhauerin Renée Sintenis - und erinnert an eine lebensreformerische Siedlung der 1920er Jahre.

Von Frederik Hanssen

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Diese Qual der Wahl hätten andere Gemeinden gerne: Sicher, Neuruppin ist die Fontanestadt – aber hier wurde eben 1781 auch Karl Friedrich Schinkel geboren, der Architekt, der das Berlin des frühen 19. Jahrhunderts geprägt hat wie kein zweiter. Ein Genie des Klassizismus, weitgereist, hochgebildet, vielseitig interessiert auch an Malerei, Graphik, Bühnenbild – und den künstlerischen Möglichkeiten des modernen Eisengusses.

Wer sich von Berlin aus dem Weg nach Neuruppin macht, kann einen Zwischenstopp einlegen in Gransee, beim Luisendenkmal, das Schinkel 1811 entworfen hat, im Andenken an die geliebte preußische Königin. Feinste Neogotik ist da zu sehen, filigran ausgeführt in Metall. Über dem Sarg, den eine etwas überdimensionierte Krone schmückt, erheben sich acht schlanke Pfeiler, die ein Baldachin-Spitzdach tragen. „Milde Hoheit“, ist in güldenen Lettern zu lesen, zeichnete Luise aus, und ihre „Engelfreundlichkeit“.

Renée Sintenis hat ihre prägenden Jahre in Neuruppin verbracht

Neben Fontane und Schinkel gibt es aber noch einen kulturgeschichtlich bedeutenden Namen, der mit Neuruppin verbinden ist: den der Bildhauerin Renée Sintenis. Bekannt ist sie für ihre Bären, die als Statue bei der Berlinale überreicht werden und in Lebensgröße etwa am ehemaligen Kontrollpunkt Dreilinden alle Besucher grüßen, die sich über die Autobahn der Hauptstadt nähern. Sintenis hat in Neuruppin prägende Jahre verbracht, als Kind kam sie 1888 mit ihren Eltern hierher, blieb, bis sie 15 war, dann zog die Familie nach Stuttgart und ließ sich schließlich 1905 in Berlin nieder.

Mit der Metropole ist sie heute künstlerisch verbunden, als Zeichnerin, Bildhauerin, Porträtistin, als moderne Frau der Weimarer Republik mit kurzen Haaren und androgynem Auftreten. Ihre Tierliebe, die sie ab 1915 in großartigen, lebensnahen Bronzefiguren ausdrückte, stammt aus der Zeit in Neuruppin. Die Familie Sintenis wohnte neben einem Pferdehändler – und die kleine Renée durfte ihre freien Stunden im Stall verbringen. Zusammen mit den Eindrücken der in Neuruppin stets nahen Natur hat diese Jugendzeit ihr künstlerisches Werk beeinflusst, wie sie später einem Heimatkundler schrieb.

Neben Skulpturen sind auch Zeichnungen zu sehen

Der Brief ist natürlich auch in der Ausstellung zu sehen, die das Museum Neuruppin jetzt der großen Tochter der Stadt ausrichtet. In der lichtdurchfluteten Halle des 2015 eröffneten Anbaus sind der Esel von Seelow zu sehen, zwei Fohlen, Rehe, Hunde, ein großer Ziegenbock, der Berliner Bär; aber auch die Daphne, die die Künstlerin nach der antiken Sage geschaffen hat – im Moment ihrer Verwandlung, mit hochgestreckten Armen und einer sprießenden Lorbeerblatt-Frisur. Und in dem Saal, in dem sonst die legendären Neuruppiner Bilderbögen ausgestellt sind, hängen Zeichnungen und Porträts befreundeter Künstler und damals bekannter Sportler, werden Briefe von und Bücher über Sintenis gezeigt, Gipsmodelle und Gussvorlagen (Museum Neuruppin, August-Bebel-Straße 14/15, Mi - Mo, 10 - 17 Uhr, bis 7. November).

Um dieselbe Zeit, in der Renée Sintenis ihre künstlerischen Erfolge in Berlin feierte, geht es auch in einer weiteren Ausstellung im Hauptgebäude des Museums. Um die Siedlung Gildenhall nämlich, die ab 1921 gegenüber der Altstadt auf der Ostseite des Ruppiner Sees entstand. In der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte hat sie ihren eigenen Raum. Hohe Handwerkskunst mit modernen Ansprüchen ist dort zu sehen, entstanden in den Werkstätten von Gildenhall: eine kunstvoll geschmiedete Laterne mit Art-Déco-Look, gedrechselte Eierbecher für Großstadt-Frühstückstische, Keramik in den Formen des Bauhaus.

Am Ostufer des Ruppiner Sees entstand eine Siedlung der Moderne

Ein Berliner Baumeister gab 1921 den Anstoß gab zur Gründung der „Freiland-Siedlung“. Gesellschaftliche und ästhetische Ideen des Werkbundes und des Bauhaus sollten hier realisiert werden, ebenso lebensreformerische Ansätze. Georg Heyer schwebte ein genossenschaftliches Modell vor, das Wohnen und Arbeiten zusammenführt, aber eben auch Kunst und Handwerk. Kopf und Hand sollten gleichermaßen geschult werden. Das Logo zeigt einen Mann mit Arbeitsschürze und aufgekrempelten Ärmeln, der auf einer stilisierten Säge steht und ein Einfamilienhaus in die Höhe hält (Die Gildenhall-Ausstellung läuft bis zum 29. August.)

Solide und billig sollte gebaut werden, schlichte, schmucklose Siedlungshäuser entstanden, ein Kinderheim, eine Grundschule für neue pädagogische Konzepte. Doch zur modernen Gartenstadt wuchs Gildenhall nicht heran, die ehrgeizigen Entwicklungspläne des Architekten Otto Bartning blieben Fantasie. Auf Schautafeln, die als Interventionen in der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte hängen, werden die Ursprünge der Gildenhall-Idee anschaulich erklärt – und das traurige Ende 1933. Die meisten Betriebe hatten da in Folge der Wirtschaftskrise schon Insolvenz angemeldet.

Die Bewohner haben sich die Häuser so zurechtgemacht, wie es ihnen gefällt

Die Ausstellung erzählt aber auch von der Breitenwirkung, die innovative Lebens- und Arbeitsansätze in den 1920er Jahren in ganz Deutschland auslösten. Berühmteste Beispiele sind die sechs Siedlungen der Moderne in Berlin, die den Weltkulturerbe-Titel tragen, aber allein auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Brandenburg entstanden damals 9200 Wohnungen in Werks-, Genossenschafts- und gemeinnützigen Siedlungen.

Wer sich heute in Neuruppin auf den Weg nach Gildenhall macht, hinüber auf die andere Seeseite, findet nur noch Spuren der einstigen Siedlung. Die Häuser, die noch stehen, wurden von ihren Bewohner nach eigenem Gusto umgestaltet, erst mit DDR-Möglichkeiten, später mit den Produkten der bundesdeutschen Baumärkte. Aber die Leute wohnen gerne hier, in dieser Idylle für alle, das kann man sehen. Und auch damit tragen sie, auf ihre Art, den Geist der Reformbewegung der 1920er Jahre weiter.

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