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Der Schriftsteller Tijan Sila.

© Miriam Stanke/Kiepenheuer & Witsch

Tijan Silas Roman "Krach": Ein bissl deutsch, ein bissl bosnisch

Pointierte Dialoge, rustikaler Humor: Tijan Silas Roman „Krach“ ist so laut und schnell wie eine gute Punkband - und auch ein Roman über Herkunft.

Tijan Sila hat eine sprachliche Angewohnheit, die einen beim Lesen von „Krach“ zunächst rasend macht: Er liebt das Wort „bissl“. Vielleicht ist das Pfälzer Idiom, auf jeden Fall ist es angeraten, sich daran zu gewöhnen, denn ohne „bissl“ kein „Krach“. Besonders irritierend ist das „bissl“, wenn es in Zusammenhang mit körperlicher Gewalt verwendet wird.

„Beppo klebte ihm eine aufs Auge – es klang, als hätte jemand eine Pflaume gegen die Wand geworfen, und es floss auch direkt ein bissl Blut von der Braue“ heißt es dann.

Es geht also nicht immer friedlich zu in „Krach“, die zeitliche Verortung, die der Verlag auf der Rückseite gibt, unterstreicht das: Inmitten der „Baseballschlägerjahre“, so steht da geschrieben, spiele dieser Roman. Was etwas flapsig klingt, besitzt durchaus seine Richtigkeit.

Selbst in der "Spex" stand mal was über die Band

In den späten neunziger Jahren wurde der vermutlich systemimmanente und universelle Hang der Dorfjugend zur Schlägerei von umfassenderen politischen Entwicklungen befeuert. Man glaubt gerne, dass sich eine westdeutsche Punkband, die Konzerte in den neuen Bundesländern gab, einer sehr konkreten Bedrohungslage durch Neonazis ausgesetzt sah.

Und die eingangs erwähnte „Bissl“-Schlägerei hat ebenfalls einen ausländerfeindlichen Hintergrund. Beppos Schlag gilt Mitschülern, die einen Flüchtlingsjungen malträtieren. Er stammt aus Bosnien, ebenso wie die Eltern von Gansi, dem Protagonisten dieses Buches, der bürgerlich Sabahudin heißt.

Sila, selbst in Sarajevo geboren und als Teenager nach Deutschland gekommen, stellt seinem Gansi ein beglückendes Figurenkabinett an die Seite. Einmal ist da die Band. Pur Jus heißt sie und spielt, klar, Punk. Angeführt wird die Band von Ursel. Die Königin der örtlichen Punkszene, irgendwann stand sogar mal etwas über sie in der „Spex“.

Selbstverständlich verliebt Gansi sich in sie, ebenso selbstverständlich sind die Erfolge, die er bei der viel älteren Bandleaderin erreichen kann, wenig nachhaltig. Dann erwähnter Beppo: „In einer Zeit, als es darum ging, besonders weite Hosen zu tragen, hatte er immer Röhrenjeans an (…), so eng, dass sein Schwanz sich im Schritt beeindruckend abzeichnete.“

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Beppo ist Ursels Bruder, es gibt noch einen weiteren, der einer der schlimmsten Nazis der gesamten Region ist. Komplettiert wird die Band vom stillen Pirmin. Diese Band erlebt Banddinge, probt, hängt ab, trinkt, rauft, spielt Konzerte in Jugendzentren, autonomen Wohnprojekten und besetzten Häusern mit Bands, die Namen wie „Kot, Brot und Scheiße“ tragen.

Ein schnelles, ungesundes Leben, das im Gegensatz zu dem steht, was Gansi zu Hause erwartet: eine schrecklich nette Familie mit Eltern, die zwar die Idee, dass ihr Sohn in einer Band spielt, gut finden. Eventuell sähen sie ihn aber doch lieber am Akkordeon. Und mit zwei siebenjährigen Zwillingsschwestern, die einen ausgeprägten Sinn für Fäkales haben, von Sila mit viel Liebe zum Detail ausgebreitet.

Ohnehin macht nicht der Handlungsbogen dieses Buch so reizvoll. Die Geschichte eines jungen Mannes, der an der Schwelle zum Erwachsensein entdeckt, was Liebe ist und was nicht, während im Hintergrund die Fäuste fliegen und die Gitarren im Feedback dröhnen, ist nicht neu.

Gansi ist Bosnier mit kroatischen und serbischen Vorfahren

Auch, dass das Ende ein halbwegs hoffnungsvolles ist, überrascht kaum. Sila macht aber das, was man mit einer solchen Story machen muss: Er rennt da durch, ohne Pause.

„Krach“ ist so laut und temporeich wie eine gute Punkband. Aber in dem Buch steckt mehr. (KiWi, 270 Seiten, 20 €.) Der Autor, der bereits zwei Romane veröffentlicht hat, reichert diese Coming-Of-Age-Story mit pointierten Dialogen und einem Humor an, der bisweilen recht rustikal anmutet, aber immer auf den Punkt kommt.

Als Reservoir dient dabei nicht nur die Punk-Szene mit ihren zahlreichen Verästelungen. Vollprolls haben hier ebenso Platz wie verklemmte, antifaschistische Brillenträger, und auch die eigene migrantische Herkunft. Zum Beispiel trägt Gansi einen Wollpulli, der von seiner serbischen Tante Maša „aus der Wolle ihres Lieblingsbocks“ gestrickt wurde.

Zwar ist Gansi Bosnier – aber wie bei vielen Bosniern finden sich in seiner Ahnenlinie auch Serben und Kroaten: „Ich hasste sie nicht (der Völkermord hatte auch sie entsetzt), aber manchmal, wenn mich der Zorn packte, wünschte ich mir dennoch, ich könnte ihr Blut aus meinem filtern. Am nächsten Tag schämte ich mich für den Wunsch.“

So ist „Krach“ auch ein Roman über Herkunft, über die Frage, ab wann man deutsch ist und ob man das eigentlich sein möchte. Das eingangs erwähnte „bissl“ ist nicht nur Flapsigkeit, sondern auch eine Standortbestimmung.

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