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Der "Postillon de Lonjumeau" spielt in Erl in den Kulissen eines barocken Theaters.

© Xiomara Bender

Tiroler Festspiele Erl im Winter 2021: Zwei Überraschungen vor Bergkulisse

Die Tiroler Festspiele Erl engagieren sich für zwei fast vergessene Opern, Pietro Mascagnis "L'amico Fritz" und Adolphe Adams "Le Postillon de Lonjumeau"

Als „Weihnachtgeschenk“ feierte man es bei den Musikfestspielen in Erl, dass man 2021 überhaupt spielen durfte - im Gegensatz zum letzten Jahr. Natürlich unter Corona-Auflagen und nicht als turbulentes Apre-Ski Ereignis, sondern besinnlich: um zwischen den Feiertagen darüber zu meditieren, warum zwei einst so erfolgreiche Opern wie Pietro Mascagnis „L´amico Fritz“ und Adophe Adams „Postillon de Lonjumeau“ in Vergessenheit geraten sind. 

Das kleine Tiroler Dorf Erl, an der bairischen Grenze gelegen, hat eine lange Theatertradition, hier fanden die ersten Passionsspiele im deutschen Sprachraum statt. Schon vor 400 Jahren hatte man gelobt, dass das gesamte Dorf als Dank für das Ende von Pestpandemie und Krieg alle sechs Jahre Spiele aufführen werde. 

Bernd Loebe hat die Festspiele konsolidiert

Das in den 1950er Jahren errichtete Passionsspielhaus mitten auf einer Kuhweide nutzte dann seit 1978 der Dirigent Gustav Kuhn in den Jahren zwischen den Passionsspielen für ein eigenes Festival, zu dem vor allem Wagnerianer pilgerten - legendär etwa 2005 der gesamte „Ring“ innerhalb von 24 Stunden. Sein Mäzen, der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner, baute ihm 2012 sogar noch ein weiteres Festspielhaus, in das er in den Jahren des Passionsspiels ausweichen und das man auch im Winter bespielen konnte.

2018 musste Gustav Kuhn nach MeToo-Vorwürfen zurücktreten, und auch die vom Journalisten Markus Wilhelm erhobenen Vorwürfe gegen arbeitsrechtliche Missstände und Lohndumping konnten von den Festspielen nicht entkräftet werden. Gerichtliche Prozesse zogen sich lange hin und erst Anfang Dezember 2021 wurden die letzten Klagen der Festspiele, mit denen sie sich juristisch gegen die Vorwürfe wehrten, abgewiesen. Doch abgesehen davon, sind unter ihrem neuen künstlerischen Leiter Bernd Loebe (gleichzeitig auch Intendant der Frankfurter Oper) die Festspiele  schnell in ein ruhiges Fahrwasser geraten.

Zwei Opern über Beziehungsängste

Mascagnis „L´amico Fritz“ und Adams „Postillon de Lonjumeau“ sind, so unterschiedlich sie musikalisch sind, in ihrem Thema sehr ähnlich: zwei Opern über Beziehungsängste. Das etwas zu Unrecht gescholtene Libretto von Nicola Daspuro bei „Freund Fritz“ führt - vergleichbar der weihnachtlichen Dachwohnung in Puccinis „La Boheme“-  Gespräche unter Junggesellen vor, wenn auch nicht in Paris, sondern unter wohlsituierten Männern im ländlichen Elsass: Verzicht auf Bindung, Liebesunfähigkeit, männliches Konkurrenzdenken bestimmen die Diskussion.

Doch schließlich wird der seine Selbstständigkeit liebende Fritz, ohne dass er es sich eingesteht, vom Auftritt der zurückhaltenden Suzel, der Tochter des Pächters, beeindruckt.  In der Inszenierung von Ute M. Engelhardt hat Suzel eine weibliche Gegenspielerin:  Aus der Hosenrolle des mit Fritz befreundeten Beppe (Nina Tarandek) wurde eine Frau, eine Geigenvirtuosin, um so zwei konventionelle Frauenbilder einander gegenüberzustellen:  die treue Gattin einerseits und die „on-off-Beziehung“ Beppes andererseits. Aber hätte die Uneindeutigkeit der Hosenrolle nicht wirkungsvoller die erotischen Irritationen von Fritz gespiegelt? 

Das Orchester spielt beeindruckend

Musikalisch hat Mascagnis „L´amico Fritz“, immer im Schatten von „Cavalleria rusticana“ stehend, schon von Anfang an unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: Verdi konnte wenig damit anfangen, Gustav Mahler bewunderte jedoch die „Commedia lirica“ und hielt sie – vielleicht wegen der raffinierten Einbeziehung von volkstümlicher Musik - sogar mit seinen Werken „wahlverwandt“.

Im Zentrum der Erler Festspiele steht nach wie vor das „Orchester der Tiroler Festspiele“, bei „L‘amico Fritz“ in großer Besetzung vom jugendlichen Francesco Lanzillotta sehr dynamisch und pointiert geleitet: das effektvolle Intermezzo vor dem dritten Akt wird so zu einem der Höhepunkt des Abends.

Karen Vuong (Suzel) und Gerard Schneider (Fritz) steigern sich in immer größerer Leidenschaft und schließlich ohne jede Verklemmung in ihre gegenseitige Zuneigung. Wohltuend bedächtiger dagegen Domen Krizaj als jüdischer Freund und Heiratsvermittler.

Vom Postillon zum Opernstar

Die Erler Überraschung 2021 ist jedoch Adolphe Adams „Le Postillon de Lonjumeau“. Denn sie bietet weit mehr als nur das Warten auf das hohe C in der zum Ohrwurm gewordenen Titel-Arie. Auch hier Beziehungsängste im Mittelpunkt: Selbst am Hochzeitstag ist sich das Ehepaar – eine Wirtin und ein Kutscher – gar nicht so sicher, ob es nicht besser doch eine Karriere, ein Wanderleben oder später eine vorteilhaftere Partie der ehelichen Treue vorziehen soll.

Die Arie, die der Postillon ausgerechnet vor der Hochzeitsnacht, zum Besten gibt, handelt ja auch von einem herumziehenden Frauenhelden, der schließlich sogar zum König befördert wird. Die Arie nimmt die weitere Opernhandlung vorweg: Nun ist es Theater im Theater. Der Postillon wird als Sänger sofort an die königliche Oper engagiert und dort zum Star. Wenn er zum zweiten Mal heiratet, ist es ungewollt seine erste Frau, die inzwischen ebenfalls reich geworden ist.

Hans Walter Richter (Regie) und Kaspar Glarner (Ausstattung) führen überaus liebevoll und mit großem Einfallsreichtum in die Kulissen eines barocken Theaters, wobei der „Erler Festspielchor“ mit großer Spielfreude in fast ständigem Einsatz ist. Der jugendliche Francesco Demuro darf sich als Opernstar eindrucksvoll präsentieren, aber kaum weniger artistisch ist die Rolle der Madeleine (Monika Buczkowska), die zwischen Rachsucht und Liebe zu ihrem Gatten schwankt.

Erik Nielsen, in Erl auch Dirigent von Wagners „Ring“, führt vor, dass Adams Musik nicht nur Barockmusik zitiert, sondern durchaus auch Wagners Schwanenritter Lohengrin vorwegahnen könnte und zeigt immer wieder, welche Raffinesse, ja welche musikalischen Kleinode in Adams Oper stecken.

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