Kultur: Todes Schimmer
Die Hamburger Kunsthalle entdeckt das furiose Werk der finnischen Malerin Helene Schjerfbeck
Schon als 15-Jährige malte Helene Schjerfbeck (1862 bis 1946) an der Kunstschule in Helsinki ein Vanitas-Stillleben mit Totenkopf, das ihr Gefühl für Licht und Farbe und zugleich ihre Neigung zum inneren Monolog zeigt. In ihrer Heimat gilt die später in Paris ausgebildete Künstlerin heute als Nationalheldin. In Deutschland ist die Finnin bisher allenfalls in Gemeinschaftsausstellungen mit anderen skandinavischen Künstlerinnen zu sehen gewesen. Die traditionell mit dem Norden verbundene Hamburger Kunsthalle, die 2003 mit einer Werkschau des stillen Dänen Vilhelm Hammershøi Furore machte, stellt die Vorreiterin der Moderne jetzt erstmals umfassend solo aus – mit über 120 Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen aus ihrem umfangreichen Oeuvre, Leihgaben aus finnischen und schwedischen Museums- und Privatsammlungen.
Knapp tausend Werke hat die fleißige Malerin während ihres langen Künstlerlebens geschaffen. Wie ihre Zeitgenossinnen schildert Helene Schjerfbeck vor allem das häusliche Leben von Frauen und Kindern, das aber auf ihren ruhigen, ernsten Bildern fast immer ohne Requisiten und die gängige nationalromantische Attitüde auskommt. Schjerfbeck experimentiert mutig mit freiem Farbauftrag und reduzierter, eigenständiger Formensprache und findet bald realistisch und zugleich expressiv zu unverwechselbar eigenem Stil. Bereits ihr sensibles Bild von einem kranken Kind, das sie 1888 im Alter von 25 Jahren malt, bringt ihr kurz darauf eine Bronzemedaille auf der Pariser Weltausstellung und breite internationale Anerkennung ein. Das brillante Werk von der kleinen, in ein weißes Bettlaken gehüllten Rekonvaleszentin, heute als Ikone finnischer Kunst in vielen Schulbüchern abgedruckt, geht wohl auf eigene Erfahrung zurück: Als Vierjährige stürzte Helene Schjerfbeck die Treppe hinunter und verletzte sich dabei an der linken Hüfte so schwer, dass sie lange bewegungsunfähig war und zeitlebens hinkte.
Neben oft melancholischen Personenstudien schuf Schjerfbeck auch herbe Landschaften und immer wieder frugale Stillleben mit Äpfeln und Birnen, Kürbissen und Zwiebeln. Am liebsten allerdings malte sie fortlaufend neue Varianten ihres eigenen blassen Gesichtes mit forschendem Blick auf den Betrachter. Als Herzstück von Schjerfbecks Oeuvre präsentiert die Hamburger Kunsthalle deshalb jetzt stolze 21 von insgesamt 40 Selbstporträts. Darunter sind einige, die noch nie in Ausstellungen gezeigt wurden wie das spät entdeckte, unvollendete, irritierend graugrüne Selbstbildnis von 1921/22 auf der Rückseite der „Fabrikarbeiterinnen zur Arbeit“.
Zunehmend radikal in der Art ihrer Darstellung beschränkt sich die Malerin meist nur auf ihren Kopf – von den frühen, noch konventionellen Lösungen über die ab 1912 immer mehr stilisierten Bildnisse bis hin zu den kompromisslosen Selbstbeobachtungen der letzten Jahre. Unverkennbare Stilmerkmale auf ihren Bildern sind der leicht geöffnete Mund und die metapherhaft unterschiedlich gestalteten Augen: klar und offen die eine Pupille, mit dem Blick auf die Welt draußen, geschlossen und abweichend ausgerichtet die andere, auf das eigentlich Wichtige nach innen gewendet.
Die Chronologie von Schjerfbecks Selbstbildnissen zeigt die Etappen ihres künstlerischen Fortschritts vor dem Hintergrund ihrer privaten Biographie. Leicht hatte es die Malerin nie: In einer verarmten, schwedisch-stämmigen Familie früh ohne Vater groß geworden und zeit ihres Lebens kränkelnd, behindert und in Geldnöten, hatte sie auch in Liebesdingen wenig Glück: Als sie 25 war, ging ihre Verlobung mit einem englischen Künstlerkollegen in die Brüche, eine spätere Liebe blieb unerwidert. Mit 40 hängte sie frustriert ihren Brotberuf als Zeichenlehrerin an der Kunstschule in Helsinki an den Nagel. Sie zog 50 Kilometer weiter nördlich in die kleine Industriestadt Hyvinkää, wo sie mit ihrer alten Mutter in einer aus Küche und Kammer bestehenden Mietwohnung lebte und in totaler künstlerischer Isolation zu immer radikalerer Malweise fand.
Mit zunehmend vereinfachten Bildelementen und immer stärker reduzierten Farben intensivierte Schjerfbeck fortan ihre Bilder. Zum anrührenden Höhepunkt ihrer Kunst wurde die späte Serie karger, unnachsichtigster Selbstporträts aus ihren letzten Jahren. „Wo ich jetzt selten Kraft habe zu malen, habe ich mit einem Selbstporträt begonnen, man hat das Modell immer zur Hand, nur ist es nicht immer so lustig, sich selber zu sehen,“ schrieb sie bereits 1921 an eine Freundin. Schonungslos, mit wachsender Intensität und deutlicher Vanitas-Anmutung zeigte sie ihr Älterwerden. Angst, Kraftlosigkeit und schließlich der körperliche Verfall in der Nähe des Todes werden beklemmend deutlich. Auf dem letzten farbigen Selbstbildnis der mittlerweile 83-jährigen ein Jahr vor ihrem Ende ist die Physiognomie bereits dem Willen entglitten, und durch die Gesichtshaut schimmert ein Totenschädel.
Hamburger Kunsthalle, bis 6. Mai ; Katalog (Hirmer Verlag) 25 Euro