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 Anja Kampe als Katerina

© Wilfried Hösl

"Lady Macbeth von Mzensk" in München: Töne auf der Goldwaage

Triumph an der Bayerischen Staatsoper: Kirill Petrenko dirigiert „Lady Macbeth von Mzensk“, Harry Kupfer inszeniert – mit einer tollen Anja Kampe in der Titelrolle.

Dunkle Wolken über der Wolga. Ein Zug von Zwangsarbeitern rastet auf dem Weg in die sibirische Hoffnungslosigkeit. Unzählige Strafgefangene, unzählige Schicksale. Unter ihnen Katerina Ismailowa und Sergej, ihr Geliebter. Die Liebe hat gelogen, er hat längst eine andere. Über einen kaputten Anlegesteg auf dem Wasser, an dem keine Fähre mehr hält, findet Katerina ihre Freiheit, den Tod.

Unvergleichlich ist die Konzentration der tragisch-satirischen Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, wie sie im Münchner Nationaltheater zu diesem konsequent ausgemalten Finale führt. Zum Staunen die musikalische Kostbarkeit, die das Bayerische Staatsorchester und der Chor der Bayerischen Staatsoper erreichen, weil Kirill Petrenko jede Note der Solisten-Partitur von Dmitri Schostakowitsch auf die Goldwaage legt. Die grandiose Aufführung beglaubigt, dass der Münchner GMD und designierte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker in seinem derzeitigen Amt der ausgemachte Liebling des Publikums ist.

Theaterkunst aus Handwerk, Menschlichkeit und Liebe

Schostakowitsch hat das Sujet einer Erzählung von Nikolai Leskow entlehnt. 1934 in Leningrad uraufgeführt, wird die Oper mit dem berühmten Leitartikel der „Prawda“ abgestraft: „Das alles ist roh, primitiv, vulgär. Die Musik ist marktschreierisch, grunzt, stöhnt ..., um die Liebesszenen so naturalistisch wie möglich auszudrücken.“ Unter dem stalinistischen Bann macht sich der Komponist daran, eine schon gemilderte Fassung weiter zu glätten. Heute gilt die rekonstruierte Urform, die aus dem Geist der zwanziger Jahre kommt.

Der Selbstmord Katerinas ist ein Stück auswegloser Protest, sagt Harry Kupfer, der Regisseur des gefeierten Abends. Denn „Katerina hat niemanden, nur sich selbst, ihr Gewissen und ihre Religiosität“. Im variablen Bühnenbild von Hans Schavernoch inszeniert Kupfer die „schöne Kompliziertheit“ des Werkes: Theaterkunst aus Handwerk (siehe: Chorführung!), Menschlichkeit und Liebe.

Zurückhaltend zunächst zeichnet er etwa die Vergewaltigungsszene einer Köchin unter dem anfeuernden Spott der Arbeiter im Haus des Kaufmanns Boris Ismailow, auch das Zwischenspiel „Liebesszene“, in dem Katerina, seine Schwiegertochter, sich mit dem Knecht Sergej (tenoraler Draufgänger: Misha Didyk) paart. Da ist die Musik ist illustrative Frechheit genug. Katerina aber, die Mörderin, geht beinahe als Heilige durch die Geschichte, während die Regie, übereinstimmend mit der Musik, die korrupte zaristische Staatsgewalt der vorrevolutionären Epoche ins Groteske treibt.

Dunkle Wolken über der Wolga

Unter der Beobachtung des despotischen Schwiegervaters träumt die junge Kaufmannsfrau von der Mädchenzeit, in der man „frei“ war. Er wirft ihr vor, dass die Ehe, die der Sohn Sinowi (Sergey Skorokhodov) gegen den Wunsch seines Vaters durchgesetzt hat, bislang kinderlos geblieben ist.

Dieser Vater Boris ist eine sensibel charakterisierte Rolle für Anatoli Kotscherga, der im Walzerton über die Last des Alters und und späte Begierden monologisiert, bis ein scheinheiliges Violinsolo sein Ende ankündigt. Vergiftete Pilze serviert ihm Katerina. Der erste Mord. Großartig in die Weite crescendierend erklingt unter Petrenko eine äußerst differenzierte Passacaglia.

„Jetzt bist du mein Mann“ singt Katerina hoffnungsvoll, und die Regieanweisung im Textbuch lautet: Katerina und Sergej umarmen sich, Sie stehen eng umschlungen. Es ist typisch für den Regisseur Harry Kupfer, den Menschenkenners, den Versteher, zu demonstrieren, dass es nicht so ist und sein kann. Das Paar steht bei diesen beteuernden Worten bereits getrennt.

Nachdem der Gatte Sinowi bei der Hochzeit des Mörderpaares – mit höfischem Fugato der Gäste – als zweite Leiche im Keller entdeckt wird, kommt mit der Polizei die Strafe der Verbannung. Dunkle Wolken über der Wolga.

Katerina ist Verbrecherin und Sympathieträgerin

Fein abgebildet sind alle die vielen Rollen: der basstiefe Pope von Goran Juric oder der Schäbige des Tenors Kevin Conners, beide verkommene dumme Typen, in der Bühnenrealität aber ausgezeichnete Sänger. Heike Grötzinger brilliert mit Lust an Verrat im Konversationston.

Die Unterdrückung der Frau heißt das Thema, und Katerina gerät zwangsläufig von einer Gefangenschaft in die andere. Mit der wunderbaren Sopranistin Anja Kampe zeigt Kupfer, wie unschuldig, gedemütigt, angstumschlossen, wie stark diese Titelheldin ist, die Verbrecherin, der die Sympathie des Zuschauers gehört. In ihrem Monolog „Es ist schwer“, den sie im Lager singt, wird sie von einem einzigen Englischhorn begleitet. Und solche linearen Momente wechseln mit aggressiver Motorik. Der Abend gehört Kirill Petrenko, der jeden Ton der Liebesmusik leuchten lässt

Zuneigung ist am Ende auch bei den Sträflingen, wenn aus den fiesen geknechteten Knechten im despotischen Kaufmannsmilieu ein Gefangenenchor der Opfer geworden ist.

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