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Thriller "Der gekaufte Tod": Tschernobyl auf amerikanisch
Bevölkerungsschwund, vergammelnde Häuser, korrupte Politik: Stephen Mack Jones erzählt in „Der gekaufte Tod“ vom Niedergang der Industriestadt Detroit.
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Wie kam eine andere Stadt steht Detroit für den Niedergang des amerikanischen Rust Belts. Die einstmals stolze Motor City, als Sitz von Ford, General Motors und Chrysler das Herz der amerikanischen Autoindustrie, schrumpfte innerhalb von 60 Jahre von knapp zwei Millionen auf rund 700 000 Einwohner. Ganze Stadtviertel entvölkerten sich, Fabriken verfielen oder wurden abgerissen.
Der Schriftsteller Stephen Mack Jones nennt die Quartiere, in denen Industrieruinen zwischen Brachflächen zerbröseln, ein „Tschernobyl auf amerikanisch“. Dort gleich Detroit einer Geisterstadt. „Ein Leichentuch legte sich über die Stadt“, schreibt Jones, „hielt sich hartnäckig wie Smog über L.A.“.
„Der gekaufte Tod“ heißt sein preisgekrönter Debütroman, ein Detroit-Krimi, der sich passagenweise wie eine stadtsoziologische Reportage liest. Sein Held August Snow kehrt nach einem Jahr, das er in Europa verbracht hat, in seine Heimatstadt zurück, wo er alles andere als willkommen ist. Der ehemalige Cop war gefeuert worden, nachdem er gegen den korrupten Bürgermeister und kriminelle Kollegen ausgesagt hatte. Dafür waren ihm vor Gericht zwölf Millionen Dollar als Abfindung zugesprochen worden. Damit möchte der Sohn einer mexikanischen Mutter und eines afroamerikanischen Vaters nun Gutes tun, indem er in seinem Kindheits-Viertel Mexicantown leerstehende Häuser aufkauft, sanieren lässt und an Bedürftige vergibt. Er verkörpert einen humanen Kapitalismus und besucht zwischendurch das Grab seiner Eltern, um ihnen Zeilen des von der Mutter geliebten Dichters Octavio Paz vorzulesen.
Krimis als Dokument ihrer Zeit
Geradezu mustergültig erfüllt Stephen Mack Jones den schon vor hundert Jahren vom Soziologen Siegfried Kracauer formulierten Anspruch, dass Kriminalromane als Dokumente ihrer Zeit einer „Gesellschaft ihr eigenes Antlitz reiner, als sie es sonst zu erblicken vermöchte“ zeigen sollten.
Der Plot folgt dem Skandal um den Detroiter Bürgermeister Kwame Kilpatrick, der 2008 wegen seiner Verbindungen zur organisieren Kriminalität zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Angesichts von gescheiterten Immobilienprojekten und wachsender Armut spricht Jones von einer „schwer durchschaubaren Stadtverwaltung“, die sich „unbedingt an das Drehbuch für den Untergang Roms halten wollte“.
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August Snow hat bei den Marines als Scharfschütze in Afghanistan gedient. Seine Fertigkeiten im Umgang mit Schusswaffen wird er bald auch in Detroit brauchen können. Als ihn die befreundete Besitzerin einer Investmentbank bittet, herauszufinden, was mit ihrem Unternehmen „nicht stimmt“, lehnt er ab, weil er keine Lizenz als Privatdetektiv besitzt. Kurz darauf wird sie mit einer Kugel im Kopf aufgefunden, und Snow beginnt aus schlechtem Gewissen zu ermitteln.
Der Herzschlag des Geldes
Ähnlich wie Raymond Chandler beherrscht Stephen Mack Jones die Kunst, Figuren anhand ihres Einrichtungsstils zu beschreiben. Der windige CEO der Privatbank residiert in einem pompösen Büro mit Marmorkamin, voll ausgestatteter Bar und der Original-E-Gitarre aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ als Angeber-Devotionalie. Auf seinem Schreibtisch, der von korinthischen Säulen getragen wird, stehen drei Computerbildschirme, „von denen jeder den weltweiten Herzschlag des Geldes überwachte“.
Weil Steuerfahnder gegen Superreiche vorgehen, die ihre Millionen in Offshore-Finanzplätze verschieben, hat eine Mafia-Organisation begonnen, die Gelder nach Amerika zurückzuholen, in die Tresore kleiner Banken, wo sie nur schwer zu finden sind. Wer sich ihnen in den Weg stellt, muss damit rechnen, vom „Cleaner“ besucht zu werden, einem wortkargen Killer.
Shootout zwischen Industrieruinen
Snow mag ein wenig zu selbstlos und samariterhaft gezeichnet sein, und dass die Handlung in einem blutigen Shootout enden wird, das auf einem pittoresk heruntergekommenen Industriegelände ausgetragen wird, ist absehbar. Doch die Stärke dieses herausragenden Krimis liegt in der Präzision, mit der die Veränderungen einer Stadt beschrieben werden, der man bereits den Totenschein ausgestellt hatte.
[Stephen Mack Jones: Der gekaufte Tod. Ein Detroit-Krimi. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 359 Seiten, 17 €]
Untergang und Wiederaufstieg liegen in Detroit direkt nebeneinander. In der Innenstadt entstehen neue Hochhäuser, eine Non-Profit-Organisation stellt auf den Straßen von Mexicantown, wo jahrzehntelang kein Licht gebrannt hatte, Laternen auf. Und auf der Bildfläche erscheint die „nächste Welle von jungen, aufstrebenden, Umhängetaschen tragenden Weißen“ als Agenten der Gentrifizierung. Vergleichbar subtile Innenansichten aus einer sich wandelnden Metropole hat George P. Pelecanos mit seinen in Washington spielenden Thrillern geliefert.
„Der gekaufte Tod“ ist in den USA unter dem schlichten Originaltitel „August Snow“ veröffentlicht worden. Das lässt darauf hoffen, dass der Roman nur der Auftakt zu einer Serie um den unfreiwilligen Detektiv ist.
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