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Frech und kraftvoll. France Gall (9.10.1947-7.1.2018) bei einem Auftritt in den Siezigern in der Fernsehsendung "Musik aus Studio B".

© Wolfgang Weihs/dpa

Nachruf auf den Chanson-Star: Über France Galls Anfängen lag ein Schatten

Von der Schlagerpuppe zum Popstar: Zum Tod der französischen Sängerin France Gall.

Das Spiel hieß „Hitparade“ und es ging so. Die Stiege eines alten niedersächsischen Speicherschuppens war die Showtreppe. Ein ausrangierter Gardinenzuzieher diente als Mikrofon. Eins der Mädchen, die sich vor dem Treppenspeicher versammelten, war der Schlagerstar, die anderen die beinharte Jury. Es galt, engelsgleich bis majestätisch die knarzende Stiege hinunterzuschweben und gleichzeitig so souverän wie mögich ein Lied zu singen. Auswendig, ist klar. Die wie zufällig vorbei marodierenden Nachbarsjungen und Brüder übergossen uns dabei gerne mit Hohn und Spott.
Ins Speicher-Repertoire schafften es nicht nur die Aktualitäten der ZDF-Hitparade des Jahres 1972 wie Juliane Werdings Drogenballade „Am Tag, als Conny Kramer starb“ oder Mary Roos’ „Nur die Liebe lässt uns Leben“, sondern auch die Hits der späten Sechziger. Und von denen bekam „Zwei Apfelsinen im Haar“ zuverlässig die meisten Lacher beim „Hitparaden“-Spiel. Weil die nachzuahmende Stimme so grell und frech und der Text so bekloppt war. „Zwei Apfelsinen im Haar / und an der Hüfte Bananen / trägt Rosita seit heut’ /zu einem Kokosnusskleid.“

"Ella, elle l'a" ist eine Hommage an Ella Fitzgerald

All das ist plötzlich wieder da. Denn France Gall ist gestorben, die Französin, die 1968 die deutsche Version von „A Banda“, einer fröhlichen Samba von Chico Buarque sang. Sie verstarb am Sonntag in Paris, an Krebs, mit 70 Jahren. Dabei ist sie in der verblassten Erinnerung immer jung, immer sonnig, immer wonnig geblieben. Und ihr Sopran so metallisch und kraftvoll. Selbst ihr anderer deutscher Hit, die 1988 herausgekommene Ella-Fitzgerald-Hommage „Ella, elle l’a“, eine federleichte, elegante Popnummer, hat das Bild des zarten blonden Mädchens im kurzen Rock nicht auslöschen können. Obwohl France Gall da längst wie Blondie aussah und die Transformation vom Schlagermädel zur selbstbewussten Pop- und Rocksängerin längst vollzogen hatte.
Walter Giller moderiert sie in einem Youtube-Video vom Deutschen Schlagerwettbewerb 1968, bei dem sie in Berlin das Lied „Computer Nr. 3“ zum Besten gibt, mit den Worten an, dass die Amerikaner sie „kleine französische Puppe“ nennen. Und er sieht wenig froh aus dabei. So wenig wie France Gall, die am 9. Oktober 1947 in Paris als Isabelle Geneviève Marie Anne Gall geboren wurde, später über ihre überaus erfolgreiche französische und deutsche Chanson- und Schlagerkarriere der Sechziger und Siebziger erfreut sein wird.

Schon mit 15 machte sie als Sängerin Karriere

Wiederholt äußert die von ihrem Vater, dem Textdichter und Sänger Robert Gall, schon mit 15 auf die Karriereschiene gehievte Sängerin, dass sie sich ungern an diese Zeit erinnere. Die ist ganz maßgeblich mit einem Mann verknüpft, der sich in der Pose des frivolen Jugendverderbers und Skandal-Chansonniers gefiel – mit Serge Gainsbourg. Der hat den eigenen Ruhm maßgeblich gemehrt, in dem er nicht nur die Freundin Jane Birkin und die gemeinsame Tochter Charlotte, sondern auch France Gall als Lolita inszeniert.
Das Lied „Poupée de cire, poupée de son“, mit dem die Sängerin 1965 für Luxemburg den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewinnt, stammt von ihm. Der hat der jungen Unschuld auch den Titel „Les sucettes“ (Die Lutscher) geschrieben, der vermeintlich von einem zuckerigen Dauerlutscher handelt, im Subtext aber von Oralverkehr erzählt. France Gall, die damals 18 ist, realisiert das erst, als Gainsbourgs Provokation aufgeht und die Nummer Aufsehen erregt. „Ich war schockiert, als ich den wahren Sinn erfuhr und traute mich wochenlang nicht aus dem Haus.“ Zwar habe sie gewusst, dass Gainsbourg für Doppeldeutigkeiten gut sei. Aber, dass er und ihr Manager ihr sowas unterjubeln, habe sie sich einfach nicht vorstellen können. Ein Satz, der im Zuge der heutigen „MeToo“-Debatte ein Schlaglicht auf die Instrumentalisierung von jungen Frauen in der damaligen Musikbranche wirft.
France Gall verlässt 1966 Frankreich und konzentriert sich für ein paar Jahre auf den deutschen Markt. So richtig wohl fühlt sie sich als Interpretin aber erst ab Mitte der Siebziger, als sie den Komponisten Michel Berger, ihren späteren Ehemann, kennenlernt. Aus dieser Symbiose stammen Klassiker des Popchansons wie „La déclaration“ und „Aime-la“. Auch in den Achtzigern ist ihr Erfolg mit Songs wie „Èvidemment“ ungebrochen. Doch nach dem von ihr nur schwer verwundenen Tod ihres Ehemanns sowie dem Tod einer Tochter in den Neunzigern veröffentlicht sie nur noch gelegentlich Lieder. Die Ritterin der französischen Ehrenlegion engagiert sich lieber – für obdachlose Frauen.

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