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Arbeit am Dovzhenko Zentrum in Kiew.

© picture alliance / Oleksandr Rupeta

Ukrainisches Filmerbe: Dovzhenko-Zentrum in Gefahr

Das Dovzhenko-Zentrum in Kiew ist das bedeutendste Filmarchiv der Ukraine. Es bangt um seine Existenz, was nicht nur an russischen Bomben liegt.

Das ukrainische Kulturerbe ist einem doppelten Schlag ausgesetzt: Es wird durch russische Bomben und Raketen zerstört. Und die lokalen Behörden fallen ihm in den Rücken. Das Dovzhenko-Zentrum, das größte Filmarchiv des Landes, das auch zur Internationalen Föderation der Filmarchive (FIAF) gehört, droht von der kulturellen Landkarte der Ukraine zu verschwinden. Es handelt sich um eine bedeutende Einrichtung, die seit fast 30 Jahren gewissenhaft alle Werke der Filmkunst sammelt und archiviert.

Benannt ist es nach Oleksandr Dovzhenko, der neben Sergei Eisenstein und Wsewolod Pudowkin als einer der wichtigsten Regisseure des frühen sowjetischen Films gilt. Die Nachricht von der möglichen Zerstörung des Zentrums hat bei Filmarchiven und Kinematheken in ganz Europa Besorgnis ausgelöst.

Aus diesem Anlass veröffentlichte auch das noch bis Sonntag laufende, unabhängige Ukrainian Film Festival Berlin eine Solidaritätserklärung. Bei dem Konflikt geht es um tiefgreifende Umstrukturierungen und Eigentumsrechte am Gebäude. So droht der Verkauf von Gebäudeteilen und die Übergabe des Archivs an ein bislang unbekanntes wissenschaftliches Zentrum.

Bis vor wenigen Monaten galt das Zentrum noch als Vorbild für Reformen im kulturellen Bereich. Denn das aktuelle Team, das 2016 seine Arbeit aufnahm, beschränkt sich nicht auf die traditionellen Archivfunktionen, es schickte sich an, das Zentrum neu zu beleben. Mit Erfolg, denn die Reform fiel zeitlich mit der Renaissance des ukrainischen Kinos zusammen, nach Jahren der Krise.

Die Premieren ukrainischer Filme sorgen im Land für volle Kinosäle, einige wurden auf internationalen Festivals ausgezeichnet. Derzeit läuft in Berlin das 3. Ukrainische Filmfest, das starke Werke wie „Klondike“ oder „Butterfly Vision“ zeigt.

So hat sich das Dovzhenko-Zentrum zu einer lebendigen Plattform entwickelt, die mit für die Popularisierung des ukrainischen Kinos sorgte. Es organisiert Filmvorführungen und Vorträge, restauriert Stummfilme mit Hilfe modernster Technik, fördert die internationale Auswertung ukrainischer Filme und vertritt das Land in Cannes oder auf der Berlinale.

Seit drei Monaten aber kämpft die Film-Community um den Fortbestand des Dovzhenko-Zentrums, die Empörung ist groß. Innerhalb weniger Tage erhielt eine Petition an die Regierung 25.000 Unterschriften.

Offiziell geht es „nur“ um die Reorganisation

Selbst der Publikumsrat, der die Aktivitäten der staatlichen Filmagentur kontrolliert, lehnt deren Entscheidung ab: „Wir, die Mitglieder des Publikumsrates der staatlichen Filmagentur, wurden nicht nur nicht über diese Entscheidung informiert, sondern erfuhren sie aus den Medien. Unserer Meinung nach ist sie nicht transparent, die Motive für ihre überraschende Verabschiedung sind nicht klar.“ Die Agentur, der das Dovzhenko-Zentrum unterstellt ist, bleibt jedoch bei ihrer im August erlassenen Anordnung zur Umstrukturierung.

Offiziell geht es „nur“ um die Reorganisation, nicht um die Auflösung des Zentrums. Die Beamten glauben, dass es viel mehr Geld ausgibt, als es einnimmt. Aber die finanziellen Gründe leuchten nicht ein, denn statt des Zentrums soll es künftig drei Organisationen für das Filmerbe geben, das dürfte den Staat kaum weniger kosten.

Die stellvertretende Direktorin der staatlichen Filmbehörde, Julia Schewtschuk, betont außerdem, dass die Aktivitäten des Zentrums nicht den geltenden Gesetzen entsprechen. Um das juristische Problem zu beheben, würde es jedoch genügen, die Statuten zu ändern.

Das geräumige Gebäude im Stadtzentrum ist begehrt

Der Streit dreht sich um Eigentumsrechte. Nicht bei den Archivalien oder in Fragen des Film-Urheberrechts, sondern im Zusammenhang mit den Räumlichkeiten, die das Zentrum an verschiedene Büros vermietet – eine gängige Praxis in der Ukraine. Kulturelle Organisationen haben aus der Sowjetzeit geräumige Gebäude im Zentrum Kiews geerbt, die sie später mit kommerziellen Unternehmen zu teilen begannen.

Die Räumlichkeiten bleiben auch in Kriegszeiten begehrt bei behördennahen Beamten. Kürzlich wurde bekannt, dass der Staatliche Eigentumsfonds zwei der vier Gebäude des Zentrums privatisieren will. Das Grundstück, auf dem sich die Gebäude befinden, ist für Bauherren attraktiv, in unmittelbarer Zentrumsnähe entsteht derzeit ein luxuriöses Hochhaus.

Bekannt ist allerdings auch, dass der bisherige Leiter des Dovzhenko-Zentrums, Ivan Kozlenko, keine Beziehungen zur derzeitigen Regierung unterhielt. Unter dem Druck hoher Beamter trat er zurück. Da die Regierung es jedoch versäumte, eigene geeignete Kandidaten ins Rennen um die Nachfolge zu schicken, bekam Kozlenkos Stellvertreter den Zuschlag – kurz darauf erfolgte der Beschluss zur Reorganisation des Zentrums.

Es geschieht häufig in der Ukraine, dass über das Schicksal von Kulturgütern und -einrichtungen im Hinblick auf die kommerziellen Interessen von Beamten entschieden wird. Deshalb ist anzunehmen, dass die künftige Leitung des umorganisierten Zentrums den Behörden gegenüber loyaler sein wird.

Die größte Sorge gilt dem Filmarchiv. Alle Filme aus der Sammlung des Zentrums werden an ein Wissenschaftliches Zentrum für Kinematografie der Ukraine übergeben. Laut Statut ist ihre Haupttätigkeit die „Hochschulbildung“. Seit ihrer Gründung unter Präsident Janukowitsch 2011 tauchte der Name die Organisation jedoch nie in der Öffentlichkeit auf. Sie hat keine eigene Website, ist auch in den sozialen Netzwerken nicht präsent.

Deshalb bezweifelt der Leiter des Filmarchivs vom Dovzhenko-Zentrum, Oleksandr Teliuk, die Kompetenz der Institution, der das Archiv übertragen werden soll. Er hält sie für juristisch fragwürdig. Der Vorgang erinnere ihn „an einen chirurgischen Eingriff am Körper eines Menschen mit unklaren Folgen und unklaren Motiven“. Teliuk glaubt nicht, dass es darum geht, die Erhaltung des Filmerbes zu verbessern.

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