
© Maritim/Yuriy Ghurzhy
Ukrainisches Kriegstagebuch (122): Schluss jetzt mit Taiga-Blues
Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.
Stand:
29.3.2023
„Schau mal, was mir ein deutscher Freund geschickt hat: eine ukrainische Coverversion von ,Du Hast’, wie geil ist das denn!“
„ Hey, ist es wahr, dass ,Carol Of The Bells’ ein ukrainisches Lied ist?“
„Man hat mir ein Rezensionsexemplar von Valerian Pidmohylnyjs ,Die Stadt’ geschickt und ich bin begeistert, was für ein genialer Roman!“
„Lieber Yuriy Gurzhy, unser Verlag bringt das neue Buch des ukrainischen Autors XYZ heraus, gern schicken wir es Ihnen, wenn Sie uns Ihre Adresse verraten.“
Das ist ein Bruchteil der Nachrichten, die ich in den letzten Monaten erhalte. Langsam aber sicher entdecken meine deutschen Mitbürger*innen ukrainische Kultur für sich. Funktioniert das so? Täglich brutale Nachrichten von der Front in allen Medien, Tausende bei uns angekommene Flüchtlinge – und das Interesse für die Kultur der leidenden, kämpfenden Nation steigt?
Es ist bitter, aber viele der ukrainischen Kulturschaffenden haben gerade keine Zeit für die Kultur. Sie können nicht tun, was sie am besten können, weil sie ihr Land verteidigen müssen, oft mit einem Gewehr in der Hand. Sie sterben auf dem Schlachtfeld, während die anderen ihre Bücher, ihre Musik, ihre Filme entdecken.
Klar kenne ich diese Version von „Du Hast“, antworte ich, Los Colorados haben sie bereits vor elf Jahren aufgenommen. Ja, „Carol Of The Bells“ ist eigentlich „Schtschedryk“ und wurde 1916 geschrieben, die Version mit dem englischen Text, die die ganze Welt kennt, kam erst 20 Jahre später raus. Schön, dass „Die Stadt“, 94 Jahre nach ihrem Erscheinen, endlich auf Deutsch erhältlich ist, ich freue mich.
Denn es war nicht immer so: In den 28 Jahren, die ich in Deutschland lebe, musste ich schon so oft C-H-A-R-K-I-W buchstabieren und manchmal auch erklären, die Stadt liege nicht in russland.
Neulich erzählte eine Freundin über ihren Versuch bei der Sparkasse, das Geld in die Ukraine zu überweisen. „Winnyzja heißt der Ort“, erläuterte sie geduldig am Schalter. „Winnyzja, Ukraine“. „Ja, aber wo genau ist es in russland?“ Die Mitarbeiterin war verwirrt.
Pelzmützen, rote Sterne und Schnaps
Als leidenschaftlicher Plattensammler stöbere ich gern in den „Alles für 1€“-Kisten, die oft vor Plattenläden oder auf Flohmärkten stehen. Man findet dort ganz schräge Sachen, die keinen Mensch auf der Welt interessieren würden – außer mir. Schon in meinen ersten Jahren in Deutschland ist mir eine hohe Zahl der Alben mit slawischer Thematik aufgefallen. Dabei kann ein deutlicher Unterschied zwischen Osten und Westen nicht übersehen werden. Das ostdeutsche Plattenlabel Amiga hat scheinbar viele ihre propagandistischen Platten wie „Drushba Freundschaft“, „Moskau – Berlin“ oder „Auf Freundschaftskurs“ der Firma Melodija direkt von den sowjetischen Kollegen übernommen.
Im Westen war es anders, dort sah die Slawophilie wesentlich sexier aus. Auf den Plattencovern waren schöne Frauen mit Pelzmützen, roten Sternen und Schnapsflaschen abgebildet, und die Alben hatten alberne, doch wahrscheinlich für die potentiellen Käufer verlockende Titel: „Schwarze Balalaika“, „Wodka A Go Go“ und „Taiga Blues“.
All diese Scheiben, ob in der BRD und in der DDR gepresst, beinhalteten ein, zwei Stücke aus der Ukrainischen Sozialistischen Republik und bei den meisten, insbesondere bei den westlichen, entstand der pauschale Eindruck, dass alles, was man drauf hört, aus russland kommen würde. Wildes und grausames, geheimnisvolles und wunderschönes Mütterchen russland sorgte jahrzehntelang für gute Verkaufszahlen. Warum sollte der Hörer von „Pop Party in Petersburg“, „Feurige Balalaika-Klänge“ und „Mitternacht in Moskau“ auch ins unnötige Detail gehen?
Mit (und eigentlich gegen) diese absurden Klischees arbeitete ich mit meinem Freund und Kollegen Wladimir Kaminer bei unserem Projekt Russendisko. Wir beide fanden sie verrückt, aber auch lustig – bis mir 2014 bewusst wurde, dass wir immer noch in einem Land leben, wo man sich Osteuropäer erschreckend oft als aus russland kommenden bärenartigen schnurrbärtigen Kerl oder blonde, etwas vulgär geschminkte blonde Femme fatale vorstellt. Und darüber, dass das sich jetzt ändert, kann ich mich nur freuen.
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