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Kultur: Unangebrachte Vergleiche

RAUL HILBERG (73) zählt zu den renomiertesten Holocaust-Forschern.Der Historiker mußte 1939 vor den Nazis fliehen, emigrierte in die USA.

RAUL HILBERG (73) zählt zu den renomiertesten Holocaust-Forschern.Der Historiker mußte 1939 vor den Nazis fliehen, emigrierte in die USA.Bekannt wurde er durch sein Standardwerk "Die Vernichtung der europäischen Juden" (S.Fischer Verlag), für das er mit dem Marion-Samuel-Preis ausgezeichnet wurde.

TAGESSPIEGEL: Deportation, SS-Einheiten, KZ, Völkermord? Woran denken Sie, wenn Sie die Worte hören, Herr Hilberg?

HILBERG: Ich sehe solche Ausdrücke im Zusammenhang mit einem Vorgang, der mit Vernichtung endet.Bei den Nazis war das so.Am Ende einer Deportation muß aber nicht zwingend die massenhafte Ermordung von Menschen stehen.

TAGESSPIEGEL: Es sind Formulierungen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in Jugoslawien und der Vertreibung der Kosovo-Albaner durch Milosevics Truppen gebraucht werden.Sind denn solche Begriffe ohne weiteres auf die Tragödie in Südosteuropa anwendbar?

HILBERG: Nicht ganz."Deportation" bedeutet, daß sehr viele Menschen mit Zügen zu einem bestimmten Ziel gebracht werden und daß man dort mit den Menschen etwas Schlimmes macht.Werden Züge voller Menschen an die Grenze geschickt, dann ist das eine Vertreibung.Das ist aber nicht genau das gleiche wie die Deportationen der Juden während des Dritten Reiches.

TAGESSPIEGEL: Es gibt also Ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen den Verbrechen Hitlers und seines angeblichen Wiedergängers Milosevic?

HILBERG: Bedeutende Unterschiede.In der Tragödie auf dem Balkan sehe ich nicht den Versuch, eine ganze Volksgruppe zu vernichten.Zweifellos will man die Kosovo-Albaner heraushaben.Wohin, das spielt keine Rolle.Dieses Vorgehen der Serben ist eher mit der Politik der Nazis von 1939 zu vergleichen, nicht mit der "Endlösung".Die bedeutete die gewollte physische Vernichtung der Juden.Was die Serben mit den Albanern machen, das ist sehr schlimm.Man braucht aber nicht immer alles mit Hitler und der Nazizeit zu vergleichen.

TAGESSPIEGEL: Offenkundig gehen gerade deutschen Politikern solche Vergleiche leicht über die Lippen.

HILBERG: Wenn man Gewissensbisse hat, und die gibt es immer bei so einer Sache, muß dem Volk erklärt werden, warum man gerade jetzt handeln will.Und da kann man nicht subtil vorgehen.Man braucht sofort einen Vergleich mit Hitler.Oder das Wort Genozid wird gebraucht.Zum Beispiel hat sich die amerikanische Regierung vor fünf Jahren geweigert, die Vernichtung der Tutsi als Genozid zu bezeichnen.Warum? Sie wollte da nicht eingreifen.Heute will Washington in Jugoslawien eingreifen.Jetzt benutzen der US-Präsident und sein Verteidigungsminister das Wort Genozid, ohne daß es Beweise für den Völkermord gibt.

TAGESSPIEGEL: Wird damit nicht die Singularität der NS-Mordmaschinerie in Frage gestellt?

HILBERG: Ich bin kein Verfechter der Singularitätsthese.Die Tutsi sind wirklich als Volk fast vollständig vernichtet worden.Das ist doch etwas ganz anderes als das, was den Kosovo-Albanern widerfährt.Ich kann mir nicht leisten, wie ein Politiker leichtfertig über alles so zu sprechen, als handele es sich wieder um einen Holocaust.

TAGESSPIEGEL: Vier Worte spielen gegenwärtig auch in der Dikussion über das Holocaust-Mahnmal in Berlin eine Rolle: Ein neuer Vorschlag der Gestaltung lautet, das Mahnmal mit der Aufforderung "Du sollst nicht morden" zu versehen.Was halten Sie davon?

HILBERG: Der Satz "Du sollst nicht morden" ist in diesem Zusammenhang einer über die deutsche Vergangenheit.Heutzutage fürchtet keiner, daß die Deutschen wieder ein Volk ermorden werden.Die Mahnung ist also überflüssig.Wenn ich einen Satz für das geplante Denkmal formulieren müßte, so lautete er: Du sollst nicht zuschauen.

TAGESSPIEGEL: Was halten Sie überhaupt von dem Plan, ein Holocaust-Mahnmal zu errichten?

HILBERG: Eine solche Erinnungsstätte gehört nach Berlin, mehr als nach Jerusalem oder nach Washington.Der Holocaust ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der deutschen Geschichte.Und das soll man nicht übersehen.Was den Platz für das Mahnmal betrifft: Wir hatten die gleiche Diskussion in Washington, als das Holocaust-Museum ganz in der Nähe der Denkmäler für Lincoln und Washington errichtet wurde.Damals bemängelten Kritiker, das Museum habe doch nichts mit amerikanischer Geschichte zu tun.Es wurde auch über das Aussehen des Museums debattiert.Es sieht aus wie ein KZ, das ist Absicht.Aber das ist nicht von der Straße aus zu erkennen.

TAGESSPIEGEL: Worauf käme es Ihnen bei der Gestaltung eines Mahnmals an?

HILBERG: Ein solches Gebäude muß auf jeden Fall ein Kunstwerk sein, wie jedes Gebäude, das für eine Gesellschaft wichtig ist.An was erinnert der Bau, wenn man ihn später sieht? Das ist die zentrale Frage, die beantwortet werden muß.

TAGESSPIEGEL: Kulturstaatsminister Naumann hat vorgeschlagen, das Mahnmal mit einer Forschungsstätte zu verbinden.Leuchtet Ihnen das ein?

HILBERG: Das würde ich befürworten.In Washington benutzen wir dafür den Begriff "Lebendes Museum".Das heißt, daß in diesem Gebäude weiter über das Thema geforscht wird.Vielleicht sehen wir ja in zwanzig, dreißig Jahren vieles anders.

TAGESSPIEGEL: Die Berliner Gedenkstättenleiter fürchten, für ihre Arbeit gebe es dann kein Geld mehr.

HILBERG: Wir haben in Washington 200 Millionen Dollar privat gesammelt.Ob so etwas in Deutschland funktionieren könnte, weiß ich nicht.Es wäre schön, wenn bei einem solchen Projekt eine Regierung mit Privatpersonen zusammenarbeitete und somit der Bundeshaushalt nicht allzu stark belastet wird.

TAGESSPIEGEL: Seit zehn Jahren wird über das Mahnmal geredet.Wie wirkt auf Sie die Diskussion?

HILBERG: Ich erwarte so eine Debatte.Das haben wir in Washington auch erlebt.Es ist doch ein großer Schritt, ein solches Mahnmal in Berlin zu errichten.Immerhin kann die Nachkriegsgeneration argumentieren, sie habe nichts mit dem Morden vor mehr als fünfzig Jahren zu tun gehabt.Da ist doch Diskussionsbedarf.

CHRISTIAN BÖHME

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