Kultur: Und dann kam Coltrane
Meine liebste Jazzplatte. Von Wim Wenders
Vor vierzig Jahren gründete Joachim Ernst Berendt die Berliner Jazztage, das heutige „JazzFest“. Es ist eines der ältesten seiner Art und war über viele Jahre auch das wichtigeste, bei dem sich die Stars des modernen Jazz immer wieder neu positionierten. Wir haben sechs Autoren nach ihren liebsten Jazzplatten aus diesen vier Dezennien geefragt. Hier die zweite Folge.
Jimmy Giuffre war schuld daran gewesen, dass ich angefangen hatte, Klarinette zu spielen. Ich fand seine Trio-Einspielungen einfach ultra-cool, so nahe wie Jazz überhaupt nur an Kammermusik herankommen konnte. Aber meine Klarinette klang einfach immer zu „nett“. Und mein Lehrer in der Kleinstadt im Ruhrgebiet hatte auch nie von Jimmy Giuffre gehört. Schon Gershwin fand er zum Davonlaufen. Ich dudelte vor mich hin und meine Begeisterung für die Klarinette schwand.
Und dann kam John Coltrane . Erst nur im Radio, verrauscht, spätabends, nur eine Ahnung von etwas Unerhörtem! Bis ich mir meine erste LP kaufen konnte. Coltrane live at Birdland (1964) . Und dann war klar: Es gab keinen größeren Musiker auf diesem Planeten. Jedes Stück war Ton für Ton ein Musikgedicht, eine Saxophon-Hymne, ein Gebet, ein Pamphlet, eine These. Vor allem aber „Alabama“. Allein schon dieses Wort mit den vier As! Ich war noch nie in Amerika gewesen, (das hatte auch nur zwei As...) aber mit jedem Atemausstoß, jedem Röhren dieses auf so unglaubliche Weise sprechenden Instruments stieg ein weiteres Bild dieser Landschaft und ihrer Menschen vor mir auf.
Die Klarinette wurde gegen ein silbernes Selmer Tenorsaxofon eingetauscht. Von dem Holzblättchen auf dem Mundstück und den Fingerhaltungen her war das kein so radikaler Neubeginn. Aber was für ein Klang kam da heraus! Nein, gewiss nicht mehr nett. Es war in der Tat wie ein Neu-Sprechen-Lernen. Die Stunden bei meinem Lehrer (der auch Saxofon hätte lehren können) habe ich aufgegeben, um mehr LPs von Coltrane kaufen zu können. Und dann habe ich einfach nur versucht, nachzuspielen. Sicher eher schlecht als recht, aber darum ging es ja gar nicht. Was da für eine Emotion mit jedem Hineinblasen herausdröhnte!
Wim Wenders ist Filmregisseur. Zuletzt kam von ihm „Land of Plenty“ ins Kino.
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