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Kultur: Unter der Bommelmütze

Wer angibt, hat mehr vom Leben: Maxim Billers Erzählungen „Liebe heute“

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Schreiben macht sexy. So will es nicht nur das Klischee, sondern auch dieses Buch: Mal steht eine Leserin mit eindeutigem Anliegen vor der Tür eines Autors. Mal wirft eine andere beim Essen dem Schreiberling begehrliche Blicke zu und sagt: Sie haben mein Leben verändert.

Nach dem verbotenen Roman „Esra“ und den Geschichten „Bernsteintage“ heißt Maxim Billers neuester Kurzgeschichtenband „Liebe heute“. In ihm treten häufig Autoren auf, denen Folgendes passiert: „Neulich saß ich in meinem Café in der Kastanienallee, und eine Frau fing an, mit mir zu reden... ,Sie haben mir geholfen, mich selbst zu verstehen‘, sagt sie.“ Als sie das sagte, war der Erzähler „sofort in sie verliebt. Ich wohne nicht weit von dem Café, am Mauerpark, und ich fragte sie, ob sie zu mir kommen wolle. Aber als wir in meinem Bett lagen, machte sie Schwierigkeiten.“ Oder: „Sie war einfach neben ihm sitzen geblieben... er küsste sie und war überrascht, wie einfach das ging. Jetzt lag sie unter ihm, er hielt sie an den Knöcheln fest und nahm ihre Zehen einzeln in den Mund...“ Oder: „Wir standen draußen, Ecke Reichenbachstraße und Gärtnerplatz, und Geli sagte: ,Komm mit zu mir. Ich habe dein letztes Buch gelesen. Ich will mit dir darüber reden.‘ ,Nein‘, sagte ich, ,bloß nicht. Aber nimm mich trotzdem mit.‘“

Natürlich gehen alle diese Verbindungen, die Biller mit einer Mischung aus Vollstreckerstolz und Rockstarschnöseligkeit beschreibt, traurig aus. Das liegt in ihrer Natur. Die Leserin, die sich einem Autor nähert, meint ja weniger ihn als vielmehr den Raum der Fiktion, an dem sie über den körperlichen Kontakt partizipieren will. Mit einem Autor wird man selbst ein bisschen zur literarischen Figur. Umgekehrt setzt sich für einen Autor, der etwas mit einer Leserin anfängt, die fiktive Welt in der Wirklichkeit fort. Wie romantisch im Glanz dieser unwirklichen Zwischenreichs alles schimmert! Das Erwachen im morgendlich grellen Licht der Realität ist dann natürlich grausam. Schweigend sitzen die beiden Träumer einander gegenüber und stoßen bei jedem Kommunikationsversuch immer wieder nur an die Glaswand ihrer Projektionen. Es gehört zur Albernheit dieser 27 kurzen Texte, dass Billers Figuren von dieser Selbstverständlichkeit nichts wissen wollen und glauben, als könne so die „wahre Liebe“ entstehen – und dann abgrundtief enttäuscht sind, wenn es wieder nichts wurde.

Obwohl: Eigentlich fühlen sich diese in Berlin-Mitte wohnenden, zwischen der Paris-Bar, dem Frankfurter Westend, Prag und Tel Aviv hin und her jettenden, alterslosen Junggesellen in ihrer Einsamkeit ganz wohl. Man kann schöner leiden, unter einem ernst zu nehmenden Niveau zwar, aber immerhin. Und man kann – ohne Konflikte zu riskieren –, wann und so oft man will, zu Prostituierten gehen. „Die süße Hure“ heißt eine fünfseitige Skizze, in der ein gewisser Sami vom superguten Sex mit einer griechischen „süßen Hure“ schwärmt, die in Wirklichkeit keine Griechin, sondern „bestimmt Zigeunerin“ ist und darüber hinaus beim Verkehr mit Sami auch noch „nass wurde“. Das ist nicht mehr als eine Stammtischgeschichte, Maxim Biller nennt so etwas „short story“.

Die Hälfte von ihnen ist dazu da, die männlichen Hauptfiguren erst mit ausgeprägten Hoden zu zeigen und sie dann in einem koketten Bad aus Selbstekel wieder reinzuwaschen. Die andere Hälfte ist angenehmer, weil aus Sicht von Frauen erzählt. Deren Poren werden nicht von Testosteron, sondern vom Zweifel verklebt: Soll die junge Libanesin lieber mit dem Maler zusammen sein oder dem Architekten von gegenüber? Soll die israelische Braut heiraten oder doch lieber aus dem Fenster springen, weil ihr Bräutigam sie betrogen hat? Auch in diesen Erzählungen wird eine globalisierte Welt angesagter Örtlichkeiten beschworen, auch hier spielt der Sex eine Hauptrolle – aber nicht als Selbstzweck, sondern als Chiffre der Sprachlosigkeit, durch die eine unbehagliche Öde und das Gefühl von Verlorenheit in die Geschichten zieht. Die schönste und traurigste heißt auch so: In „Es ist eine traurige Geschichte“ ruft ein Witwer eine Sexhotline an und landet immer wieder bei der gleichen Frau, die behauptet, krank zu sein. So entspinnt sich zwischen den beiden Versehrten ein zartes Nichts aus Offenbarungen, Lügen, Lachen und Schweigen.

Schließlich gibt es noch „Wir saßen im Cibo Matto“. Jetzt schwärmt ausnahmsweise nicht der Erzähler, sondern ein Freund vom supertollen Sex. Aus dem Mund eines anderen, merkt der Erzähler, hören sich solche Angebereien aber gar nicht toll, sondern ziemlich öde an. Und nun kommt der beste Absatz des Buches: Der Freund „setzte jetzt auch seine Mütze auf. Es war eine von diesen neuen, bunten Bommelmützen von Y 3, in der jeder Mann wie ein Mann aussieht, der gern wieder ein Junge wäre, obwohl er es nie war. Ich hatte mir auch eine gekauft, aber zum Glück nach drei Tagen wieder verloren.“

Man wünscht, auch der Autor Maxim Biller würde seine Jungens-Bommelmütze endlich verlieren.

Maxim Biller: „Liebe heute. Short stories.“ Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 200 Seiten, 18,90 €. – Der Autor liest heute zusammen mit Christian Brückner im Babylon Mitte, 20 Uhr.

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