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Schillernde Welt des Varietés. Opernsängerin Nina Minasyan schwebt im ersten Akt als Violetta Valéry in die Partyszene hinein.

© Foto: Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Vanitas in Dresden: Die letzte Aufführung von „La traviata“ in der Semperoper

Ein Fest für alle Sinne: Was lockt mehr, eines der schönesten Opernhäuser der Welt oder die Musik? Ein Kontest Auge gegen Ohr.

Eine Glosse von Birgit Rieger

Das Wetter hätte nicht besser sein können in Elbflorenz. Der Herbst hat die Blätter gelb-orange gefärbt. Nur die goldenen Statuen, die die sächsischen Kurfürsten auf Kirchtürmen und Dachfirsten aufstellen ließen, leuchten intensiver. Am vergangenen Wochenende war in Dresden viel los: Reformationstag, Querdenker-Demo, Marathon, Halloween, Zeitumstellung. Außerdem die letzte Aufführung von Verdis „Traviata“ unter Regie von Barbora Horáková Joly an der Semperoper.

Böse Zungen sagen, es sei nahezu egal, was an der Semperoper gespielt wird: Das Haus ist immer voll. Es lebt von seinem Ruf. Es lebt von seiner Schönheit, seiner prächtigen Architektur, der pompösen Innenausstattung. Es gibt immer wieder neue Touristen, die das noch nicht gesehen haben und die sich das Haus lieber während einer Vorstellung ansehen, als eine Führung zu machen. Auslastung 93 Prozent.

Ich persönlich würde mir „La traviata“ auch in einer Turnhalle anhören. Seit ich in einer semiprofessionellen „Traviata“- Aufführung im Chor mitsingen durfte, bin ich den Verdi-Arien dieser Oper verfallen. Am Hauptbahnhof in Dresden wird die Sächsische Staatskapelle mit einem Zitat aus einer großen überregionalen Zeitung beworben. Sinngemäß heißt es dort, man fahre mit großen Erwartungen nach Dresden. Wohl wahr.

Große Erwartungen im Reisegepäck

Acht Mal hat die Staatskapelle „La traviata“ in diesem Herbst bereits gespielt. Das Haus ist auch am neunten und letzten Abend ausverkauft. Wir gehen früh hin, wie wahrscheinlich alle Touristen, um ausgiebig das Ambiente zu genießen. Nirgends kann man besser in Schönheit schwelgen als im Foyer in der Bel Etage. Mit seinen Bogenfenstern, den korinthischen Säulen und dionysischen Malereien ist es an Prächtigkeit kaum zu überbieten. Das Publikum ist nicht ganz so festlich gekleidet wie am Premierentag, aber ansehnlich allemal. Es gelingt jedenfalls kaum zu erraten, wer die Oper als Tourist besucht und wer ein Semperopern-Abo in der Tasche hat. Höchstens merkt man es im Zuschauerraum.

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Abokartenbesitzer machen wahrscheinlich keine Selfies, auf denen sie die Köpfe zusammenstecken und im Hintergrund möglichst viele goldverzierte Ränge drauf haben wollen. Auf unserem Selfie schaffen wir es sogar, ein Stück des Deckengemäldes einzufangen. 1945 wurde die Semperoper zerstört, 1985 wiedereröffnet. Man hatte sich nach langen Diskussionen entschieden, den üppig bemalten Innenraum nach historischem Vorbild wiederherzustellen. Man könnte glatt vergessen, dass man wegen der Musik gekommen ist.

Was an diesem Abend als visuelles Highlight fehlt, ist der dicke, schwere Bühnenvorhang mit seinen Putten, Früchten, der geflügelten Frauengestalt als Allegorie auf die Fantasie, den Dichtern. Den hat die tschechische Regisseurin Barbora Horáková Joly kassiert und für ihre „Traviata“ einen anderen aufgehängt. Darauf ist ein Totenkopf zu sehen, in dem Maden herumkrabbeln. Der Tod ist das Leitmotiv des Abends.

Schwelgen im reich dekorierten Foyer

Vielleicht liegt es daran, dass die Sinne in diesem wunderschönen Haus schon derart hochgeputscht sind, bevor der erste Ton erklingt, dass man zu Beginn fast enttäuscht ist. Die ersten Szenen sind zwar visuell üppig, musikalisch wirken sie flau. Die trinkende Feiergesellschaft, in einer Art Pariser Moulin Rouge dargestellt, hastet auf die Bühne, die Kurtisane Violetta wird auf einem schwebenden Sessel in die Party hinabgelassen.

Nina Minasyan als Violetta und Liparit Avetisyan als Alfredo singen grandios, allerdings hört sich alles gedämpft und weit weg an, vor allem der Chor. Die hohen Erwartungen an die Staatskapelle, an diesem Abend dirigiert von Stefano Ranzani, helfen da keinesfalls weiter.

Der Eindruck legt sich in der Mitte des zweiten Akts. Jetzt kommen die großen Gefühle endlich an. Man vergisst den Raum, den Vorhang, die Theaterhelden an den Wänden, schließt die Augen. Das hilft auch, um das auf Deutsch und Englisch übersetzte Libretto, das am oberen Bühnenrand eingeblendet wird, nicht mitlesen zu müssen. Am Ende geht man wieder hinaus in die Elbflorenzer Gegenwart. Reformationstag. Halloween. Die Liebe und der Tod klingen nach. Aber am meisten die Schönheit. An diesem Abend haben die Augen den unmöglichen Wettstreit über die Ohren gewonnen.

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