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Mahnmal: Mit Blumen geschmückter, zerstörter russischer Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin.

© imago/Future Image/IMAGO/Frederic Kern

Vergangenheit nicht mit Gegenwart überblenden: Der andere Panzer

Der Panzer an der russischen Botschaft ist wieder weg. Warum es nicht gut wäre, nun das Sowjetische Ehrenmal in Tiergarten als Protestort zu nutzen.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Stand:

Als kurzfristiges Mahnmal stand vor der Botschaft Russlands in Berlin bis gestern einige Tage lang ein kaputter, im Krieg gegen die Ukraine zerstörter, russischer Panzer. Eine Berliner Initiative hatte das Kriegsgerät herangeschafft und, mit offizieller Erlaubnis, aufstellen lassen. Jetzt zieht das Mahnmal weiter. Eindrucksvoll prangert es die Destruktivität der russischen Invasion des Nachbarlands an, die völkerrechtswidrige Verletzung seiner Grenzen - und den Willen der Unterstützer der Ukraine, Russlands Krieg und Kriegsverbrechen nicht hinzunehmen.

Wenige Meter weiter, auf der anderen Seite des Brandenburger Tors, steht, dauerhaft und intakt, ein anderer Panzer, der zum „Sowjetischen Ehrenmals im Tiergarten“ gehört. Er erinnert an die 80.000 Soldaten der Roten Armee, die bei der Befreiung von Berlin im Jahr 1945 gefallen sind. Etwa 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger hatten im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Die historische und moralische Kluft zwischen den beiden Panzern könnte kaum größer sein.

Mehrmals wurde seit Kriegsbeginn im Februar 2022 der Vorschlag gemacht, dieses Ehrenmal zum Ort von Protesten gegen Russlands Invasion in der Ukraine zu nutzen, etwa den Panzer zu entfernen oder mit einer ukrainischen Flagge zu verhüllen. Der emotionale Impetus bewirtschaftet jedoch nur die Narrative eines Regimes, das auf dem Weg zur Demokratie in eine Diktatur entgleist ist.

Putin aggressive Politik der imperialen Phantasmen hat Routine im Instrumentalisieren von Zeitgeschichte. Seit Jahren stecken russische Schulen und sogar Kindergärten Minderjährige in Uniformen der Roten Armee. Erzählungen zur Sowjetarmee gelten bei jungen Leuten als cool, ahistorisch wird der Anteil der West-Alliierten am Sieg über den Nationalsozialismus ausgeblendet. All das ist Teil der mentalen Mobilmachung der heute in Russland herrschenden Autokraten.

Sie befördern ein Delirium, das, was der Großgruppen-Analytiker Vamik Volkan einen „Zeit-Kollaps“ nennt, der durch das Überblenden von Gegenwart mit Vergangenheit entsteht. Demokratien hingegen sollten maximale Klarheit behalten, und keinesfalls selber die Sphären vermischen. Das wäre der Fall, wenn das Ehrenmal der Vergangenheit für die Gegenwart instrumentalisiert wird.

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