zum Hauptinhalt
Die gelbe Wand: Matthias Lilienthal, künftiger Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

© dpa/Soeren Stache

Verrückt aus Erfahrung: Lilienthals Engagement an der Volksbühne ist gut für Berlin und die Theaterwelt

Was für eine Wendung: Matthias Lilienthal kehrt nach einem Vierteljahrhundert an die Volksbühne zurück und soll das Haus in die Zukunft führen. Das ist nicht die einzige gute Nachricht.

Rüdiger Schaper
Ein Kommentar von Rüdiger Schaper

Stand:

Das ist fast schon ein Happy End. Eine gute Nachricht für Berlin und die Theaterwelt, was Kultursenator Joe Chialo am Freitagmorgen im Roten Salon froh verkündet. Da muss man ihm auch einmal recht geben.

Auch wenn es keine allzu große Überraschung mehr ist: Matthias Lilienthal, einst Dramaturg am Rosa-Luxemburg-Platz, wird Intendant der Volksbühne. Der 65-Jährige bekommt einen Fünfjahresvertrag und tritt zur Spielzeit 2026/27 an.

Er macht es nicht allein. Florentina Holzinger, die mit ihren radikalen Kreationen das gebeutelte Haus am Leben gehalten hat, bildet zusammen mit der kapverdischen Choreographin Marlene Montero Freitas das sogenannte artistic board, das Lilienthal berät. Und sicher heftigen Einfluss auf die Qualität und Ausrichtung der Volksbühne haben wird. Das ist die zweite gute Neuigkeit: Der Tanz soll großen Raum einnehmen, wenigstens ein Drittel des Spielplans.

Der Tanz wird wichtiger

Es gab dreißig Bewerbungen, man habe sich mit zahlreichen Kandidaten und Kandidatinnen beschäftigt, sagt Chialo. Schließlich hat sich das Beratergremium, dem die Theatermacher Milo Rau und Kai Voges und die Intendantin Beate Heine angehörten, einstimmig für Matthias Lilienthal ausgesprochen. Bereits im vergangenen Sommer gab es mit ihm Gespräche über eine dreijährige Interimsintendanz. Diese unsinnige Idee wurde bald wieder aufgegeben.

Denn die Volksbühne braucht Sicherheit, nach all den Katastrophen seit dem Abgang von Frank Castorf. Sie braucht aber auch etwas anderes: Die Volksbühne ist „das schönste Theater der Welt“, erklärt Lilienthal. Da müsse man immer die „Ausnahmesituation“ finden. Seinen Künstlerinnen und Künstlern verspricht er eine „Freiheit, die auch Scheitern einschließt“ – und „dass wir Spaß miteinander haben.“

Die Wahl Lilienthals ist so vernünftig wie mutig. In die gängigen Gendermuster passt er nicht. Und doch: Die Festivals, die er kuratiert hat, vom Theater der Welt bis zu den Performing Exiles, stehen für Diversität und Internationalität.

Und er kennt die Volksbühne. Er war Macher und Denker der großen Castorf-Jahre. Vor über 25 Jahren verließ er dieses Theater, als es auf dem Höhepunkt war. Lilienthal gründete danach das Hebbel am Ufer, das HAU, das er fast ein Jahrzehnt erfolgreich führte. Später war er Intendant der Münchner Kammerspiele, vielleicht seine schwierigste Zeit. München war nie wirklich seine Stadt.

Lilienthal ist Berliner. Die Kammerspiele hinterließen bei ihm eine Delle, eine Sehnsucht nach einem Spielplatz der Abenteuer. Er sei, das sagt er auch, heute ein anderer als 1998, als er mit seinem Abgang viele Beobachter verblüffte.

Es macht ihm offensichtlich Spaß, ein Theater zu leiten und sich „mit einer jungen Generation noch mal neu zu erfinden“ – worüber Florentina Holzinger im schönsten Wienerisch „urhappy“ ist. Sie selbst wollte sich die Intendantinnenbürde nicht aufhalsen.

Er ist ein Berliner

Lilienthal ist wieder da. Er war nie weg. Berlin, seine Geburtsstadt, hat er stets im Gepäck. Sollte es gelingen, Tradition und Zukünftiges zu verbinden, dann könnte die Volksbühne tatsächlich wieder tonangebend sein, eines Tages. Erfahrung schadet nicht. Und Lilienthal ist kein Künstler. Auch gut. Er kann sich dem Haus widmen.

Zum Spielplan äußert er sich knapp. So viel nur: Stefan Kaegi soll ein ostdeutsches Parlament in der Volksbühne einrichten, die Fehler der Vereinigung aufarbeiten. Und mit dem polnischen Regisseur Lukasz Twarkowski kommen osteuropäische Themen, vielleicht eine Dostojewski-Reihe, wie einst bei Castorf. Das Thema Russland brennt.

In ihren besten Zeiten stellte die Vollkbühne ein Forum des Ostens dar, eine intelligente, offene und unideologische Ost-West Verbindung. Lilienthal will die Stadt bespielen, wie schon beim HAU, als er die Reihe „X Wohnungen“ entwickelte, die europaweit aufgelegt wurde.

Probleme wird er reichlich haben. Der Senat kürzt auch bei der Volksbühne den Etat. Es gibt zwar Rücklagen, aber nun soll endlich der renovierte Prater wieder bespielt werden, und eine neue Intendanz kostet immer etwas mehr. Aber wie Florentina Holzinger meint: „Let’s fuck it up!“

Es herrschte ein angenehm cooler Ton bei der Vorstellung. Chialo hat etwas geschafft, und Lilienthal muss eigentlich nichts mehr beweisen. Falls ein Fels in der Brandung gesucht wurde, hat man ihn gefunden. Ein sehr bewegliches Gestein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })