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Fasten muss nicht unbedingt heißen, gar nichts mehr zu essen, sondern auf bestimmte Genussmittel zu verzichten.

© Kai Remmers/dpa

Fastenzeit: Verzichten wird zum neuen Leistungssport

Immer mehr Deutsche fasten zwischen Aschermittwoch und Ostern. Das kann sinnvoll sein, es macht aber nicht zum besseren Menschen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Claudia Keller

Jetzt beginnen wieder die Wochen, in denen sich Freunde nicht in der Kneipe treffen wollen, weil sie nur Tee trinken. Freundinnen schwärmen von der neuen Leichtigkeit des Seins, intimste Erfolgsmeldungen werden ausgetauscht und der Geschmack eines Apfels zelebriert, als sei es die Gourmet-Entdeckung des Jahres. „Stell dir vor: ein einfacher Apfel!“ Häufig endet die Schwärmerei mit der Frage, warum man nicht mitmacht und sich einer so tollen Sache verweigert.

Die Hälfte der Deutschen hält Fasten für sinnvoll

56 Prozent der Deutschen halten es für sinnvoll und sehr sinnvoll, in der Fastenzeit auf Genussmittel und Konsumgüter zu verzichten. Das hat gerade eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK ergeben. 2012 waren es 53 Prozent. Fasten wird zum Volkssport.

Die meisten verzichten auf Alkohol und Süßigkeiten, 38 Prozent essen weniger Fleisch, jeder Dritte sitzt weniger vor dem Fernseher. Die über 60-Jährigen halten vom Verzichten nicht so viel, dafür aber zwei von drei der 18- bis 29-Jährigen.

Mit Religion hat das nur noch wenig zu tun

Mit Religion hat das nur noch wenig zu tun. Wie könnte es sonst sein, dass ausgerechnet im katholischen Rheinland der Düsseldorfer Rosenmontagszug auf den 13. März verlegt wurde – mitten in die Fastenzeit?

Viele wollen „Körper und Seele etwas Gutes“ tun. Die Schlussfolgerung, dass man sich dafür kasteien muss, ist offenbar typisch deutsch. Auch Engländer, Amerikaner und Franzosen machen Diät. Doch wer dort zwischen Aschermittwoch und Ostern freiwillig und nicht aus religiösen Gründen auf Essen oder Alkohol verzichtet, gilt eher als Spinner und muss sich rechtfertigen. Es hat sich noch nicht herumgesprochen, was in Deutschland längst Common Sense ist: Der wahre Weg zum Glück führt übers Verzichten, gerade dann, wenn’s wehtut. Das kann man mittlerweile in tausenden Ratgebern und Selbstfindungsbüchern nachlesen. Dass Leiden stärkt und reifer macht, ist außerdem tief in der deutschen protestantischen Kultur verankert.

Für eine Weile auf Genussmittel zu verzichten, kann ja auch eine gute Sache sein. Magen, Darm und Nieren danken es. Wenn es noch dazu mit geistigen Höhenflügen und Glücksgefühlen einhergeht, umso besser.

Intimste Erfolgsmeldungen werden ausgetauscht

Skurril wird es, wenn Menschen daraus einen neuen Leistungssport machen. Und je mehr das Fasten zum Massenphänomen wird, umso häufiger trifft man fanatische Faster. Sie planen den Verzicht akribisch, ziehen ihn mit großem Ehrgeiz durch und reden unentwegt und mit missionarischem Eifer darüber. Sie ersetzen die alltagsüblichen Zwänge fünf Wochen lang durch neue.

In Herz und Kopf weitet sich nichts, alles bleibt eng wie zuvor. Die Freiheit, durch den Verzicht neue Erfahrungen zu machen, um die es doch eigentlich gehen sollte, bleibt auf der Strecke.

Der persönliche Höhenflug resultiert dann vor allem aus dem Gefühl, besser zu sein als andere, disziplinierter, kontrollierter, willensstärker – und damit auch moralisch überlegen. Wer fünf Wochen Verzicht durchhält – und das auch täglich herausposaunt – kann beweisen, dass er in der Leistungsgesellschaft auf der Seite der Guten und Gesellschaftsfähigen steht. Dass er sich beherrschen kann und nicht beherrscht wird von Trieben und Gelüsten.

Manche wollen zeigen, wie diszipliniert und kontrolliert sie sind

Fasten entschlackt und macht vielen großen Spaß. Aber es macht niemanden zum besseren Menschen. Und wer keine Lust hat, sich einzuschränken, ist deshalb moralisch nicht unterlegen.

Da hilft es vielleicht doch, sich an die Bibel zu erinnern und an den klugen Satz von Jesus, wonach nicht das den Menschen verunreinigt, was er an Speisen in sich aufnimmt. Unrein wird er durch das, was an bösen Worten aus seinem Mund herauskommt. Die evangelische Kirche setzt sich seit einigen Jahren an die Spitze der Fasten-Bewegung und arbeitet mit an der heiklen moralischen Überhöhung des Verzichts. Unter dem Motto „Sieben Wochen ohne“ geht es nicht um Tees und Fastensuppe, sondern darum, wie man sein Herz weiten, großzügiger, gastfreundlicher und barmherziger werden kann. Dieses Jahr schlägt die Aktion damit den Bogen vom persönlichen Imperativ „Ich schaffe das“ zum kollektiven Merkel’schen „Wir schaffen das“.

Die moralische Überhöhung tut der Sache nicht gut

Wer wahrhaft fastet, so die Botschaft, nimmt auch Flüchtlinge auf. Das ist ein sehr hoher Anspruch. Vielleicht sollte man nicht aus dem Blick verlieren, dass Fasten auch etwas mit Buße und Demut zu tun hat. Und mit dem Gedanken, dass die Gnade Gottes allen zuteil wird, ob sie faul sind oder emsig, fasten oder nicht, Flüchtlingen helfen oder nicht.

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