
© Devolver Digital
Videospiel „Baby Steps“: Der Gamer, das unbeholfene Wesen
Sisyphos im Strampelanzug: Im frustrierendsten Spiel des Jahrs muss ein Nichtsnutz in einer fremden Welt das Laufen lernen. Wer das schafft, ohne den Controller zu zerstören, wird reich belohnt.
Stand:
Mühsam setzt Nate einen Schritt vor den anderen. Eine gefühlte Ewigkeit hat der Protagonist von „Baby Steps“ gebraucht, um sich den steilen Berg hinaufzuquälen, ist über Steine gestolpert, an Wurzeln hängengeblieben oder auf schlammigem Untergrund ausgerutscht. Und immer wieder hat er dabei das Gleichgewicht verloren und ist hingefallen – mal direkt auf die Nase, mal wie ein Käfer auf den Rücken, gelegentlich auch in den ungesunden Vollspagat. Nun steht Nate endlich auf dem Höhenweg und lässt den Blick zu schneebedeckten Berggipfeln schweifen. Ja, es herrscht tolles Wanderwetter!
Das Computerspiel „Baby Steps“ stellt die Geduld der Spieler auf eine harte Probe. In den meisten anderen Games ist der Akt des Gehens selbstverständlich: Man drückt den Controller-Stick in eine bestimmte Richtung – und die Spielfigur läuft genau dorthin. Nicht so bei „Baby Steps“: Hier muss jeder einzelne Schritt genau getimet werden. Drückt man die Trigger-Tasten am Controller, hebt Nate seinen linken oder rechten Fuß. Mit dem Stick legt man nun fest, wohin er den Fuß als Nächstes setzt.
Dieses enorm umständliche Verfahren erfordert kontinuierliche Konzentration, weil der Protagonist sonst sofort wieder auf die Nase liegt. „Baby Steps“ hat übrigens keine klassischen Zwischenspeicherpunkte: Wer unterwegs abstürzt, verliert schnell mal zehn bis 15 Minuten Spielfortschritt. Abspeichern kann man nur beim Verlassen des Spiels.

© Devolver Digital
Auch sonst bricht „Baby Steps“ mit so einigen Gaming-Konventionen. Die Hauptfigur ist nicht etwa eine säbelschwingende Amazone oder ein schwer gerüsteter Space Marine, sondern ein Antiheld aus Gamer-Klischees: Eben noch saß das 30-jährige „Man-Child“ kiffend und Computer spielend im Untergeschoss seines Elternhauses. Doch dann wird der unselbstständige Tölpel plötzlich in eine fremdartige, mit Energydrinks vermüllte Bergwelt gebeamt – ohne zu wissen, was er dort überhaupt soll.
Erschwert wird die Situation dadurch, dass Nate in seinem schmutzig-verschwitzten Ganzkörper-Schlafanzug ausgesprochen gehemmt und kommunikationsfeindlich ist. Zwischen ihm und den seltsamen Zeitgenossen, die er unterwegs trifft, entspinnen sich so tragisch-fragmentarische und zuweilen urkomische Kurzgespräche, bei denen Nate statt epischen Quests Aufträge à la Zigaretten holen bekommt.
Eigentlich will der Dauernörgler einfach nur weg aus dieser Vorhölle. Aber weil Nate – wie auch die Spieler – eben keinen klaren Plan verfolgen können, geht es zunächst mit Baby Steps in Richtung Berggipfel.
Mit kleinen Schritten in Richtung Entspannung
Federführend bei diesem Frustgenerator war Bennett Foddy. Der australische Game-Designer ist längst für Spiele mit Fortbewegungsschwierigkeiten berüchtigt, darunter das Browsergame „QWOP“ von 2008, in dem eine schlackernde Gliederpuppe einen 100-Meter-Sprint meistern muss.
Nach weiteren Projekten veröffentlichte er 2017 „Getting Over It with Bennett Foddy“: Hier sitzt ein Mann in einem Kupferkessel und versucht, mit einem Vorschlaghammer einen Berg zu erklimmen. Das absurd schwierige Spiel ließ Menschen rund um den Globus verzweifeln – und krönte Foddy zum König der zermürbenden Slapstick-Games.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Seine Karriere begann Foddy übrigens als Moralphilosoph: Er hat an den Elite-Unis Oxford und Princeton geforscht, unter anderem zu Suchtverhalten, und ist mittlerweile Kunstprofessor in New York. In einem Interview sagte er, anfangs habe ihn als Game-Designer das Experimentieren mit bewusst eingeschränkten Spielsystemen gereizt. Mit seinen Sisyphos-Games wolle er nun auch spielerische Belohnungssysteme aufbrechen und ganz unterschiedlichsten Emotionen ausloten.
Tatsächlich sind das permanente Scheitern und die Orientierungslosigkeit in „Baby Steps“ anfangs hochgradig nervenaufreibend, mit der Zeit erwirbt man aber neue Tricks und Kniffe. Man lernt zum Beispiel, das schwierige Gelände auf Begehbarkeit hin zu lesen. Oder auch, mit gut gesetzten Trippelschritten selbst steile Felswände zu überwinden.
Ganz, ganz langsam wechselt das Spielgefühl von Anspannung und Frust hin zu einem zen-artigen Gemütszustand. Das Tapsen und Kraxeln erzeugt einen Flow – und die mühsamen Baby Steps und herben Rückschläge ergeben irgendwann erstaunlich viel Sinn.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false