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Foto: Lennart Preiss/dapd

© dapd

Kultur: Viereck des Abscheus

Gert Voss zu Gast am Berliner Ensemble.

Die Wien-Beschimpfungen am Wiener Burgtheater – die konnte Thomas Bernhard nicht mehr genießen. „Elisabeth II“ ist sein vorletztes Stück, geschrieben 1987, doch bevor es uraufgeführt werden konnte, starb der Dichter. Die monologische Erregung des Großindustriellen Herrenstein, der am Besuchstag der englischen Königin hasserfüllt auf den Einfall der Wiener Gesellschaft in seine Wohnung wartet, weil man von dieser den vorbeiziehenden Korso so gut sieht, kam dann am Berliner Schillertheater heraus und wurde erst Anfang des Jahrtausends in Wien gezeigt – mit Gert Voss in der Hauptrolle.

Im Rahmen eines Wien-Festivals am Berliner Ensemble kommt dieser Abend nun nach Berlin: als fulminantes Voss- Solo. Voss spielt nicht nur alle anderen (zum Schweigen verdammten) Rollen, sondern spricht auch die Regieanweisungen und erklärt, nachdem er im Rollstuhl auf die weitgehend leere Bühne gefahren ist, den Aufbau der Wohnung. Hier der Salon, da der hintere Trakt und „dort, wo Sie sitzen“ ein riesiger Balkon. Der Balkon ist das heimliche Zentrum des Stückes, denn am Ende, als die Gäste auf ihm stehen, um Elisabeth II. zuzujubeln, kracht er in die Tiefe, und alle sind tot. Bis auf Herrenstein und Diener Richard. Das ist die mäßig überraschende Pointe.

„Elisabeth II“ ist ein schwächeres Bernhard-Stück. Alle bekannten Motive sind dabei. Aber weil sie so routiniert aufgerufen wirken, möchte man lieber von Versatzstücken sprechen. Für Herrenstein, der bei einem Unfall beide Beine verlor, ist naturgemäß alles furchtbar. Die Wiener sind verkommen, die Landösterreicher abgrundtief dumm. Ärzte sind aus Prinzip „immer die Allerschlechtesten“, am verkommendsten und am dümmsten sind aber die Schauspieler, besonders die vom Burgtheater.

Also: Beschimpfungen und selbstreferenzielle Kalauer, die Gert Voss freilich in allen Schattierungen auskostet, ohne sie an den billigen Effekt zu verraten. Ekel, Wehleidigkeit, Hass, dämonische Bösartigkeit. Voss’ Präzision, die Sicherheit, mit der er immer den jeweiligen Ton trifft, die schnellen Wechsel und rhythmischen Steigerungen, sind beeindruckend. Vor allem, da ihm, an den Rollstuhl gebunden, außer dem wandelbaren Gesicht, nur rudernde Arme, gen Himmel gereckte Hände und eine manisch auf- und abgesetzte schwarze Brille zur Verfügung stehen. Er zieht das Gesicht zur Giftzwergfratze zusammen, reißt die Augen auf wie ein empörtes Weib, mahlt mal bedrohlich, mal rührend vordement mit dem Unterkiefer und formt seinen Mund zu einem beachtlich monströsen Viereck des Abscheus. Voss zeigt das Scheusal als hilflose Jammergestalt, mit der man – genügend Distanz vorausgesetzt! – Mitleid hat. Lang anhaltender Jubel. Andreas Schäfer

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