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Kultur: Warte nur ein Weilchen

Fritz Rahmann brachte seine Kunst in Bahnhöfe und auf die Straße. Jetzt wird er mit einer Retrospektive wieder entdeckt

Das große helle Atelier in einem ehemaligen Fabrikgebäude am Charlottenburger Ufer ist fast leer: Neben dem Computer und zwei Tischen hängen Ausdrucke von Photoshop-Übungen und ein paar Fotos an den Wänden. Es sei alles im Haus am Lützowplatz, sagt Fritz Rahmann, als wolle er sich entschuldigen. Dabei gibt der Raum gerade so, wie er ist, Aufschluss über die Arbeitsweise des heute 67-jährigen Berliner Künstlers. Denn lange brauchte der gar kein festes Atelier. Lieber reiste er nur mit ein paar Materialien zu den Ausstellungsorten, an die er eingeladen wurde, und entschied erst vor Ort, was für ein Werk er realisieren würde. Das konnte 1987 im Institut of Modern Art in Brisbane ein Dia sein, das von derselben Stelle aufgenommen worden war, von der auch die Direktorin des Instituts einmal den Hafen in Nizza fotografiert hatte. Ein anderes Mal formte er Restmaterial von den Installationen seiner Künstlerkollegen zu langen Reihen. Für die Ausstellung „Open Air“ in Bremen, verpackte er 1993 in den Alpen gefundene Steine in Kartoffelsäcke und ließ sie vom Kunstspediteur Hasenkamp in der Hansestadt anliefern.

Nur ein paar Fotos sind von solchen Aktionen geblieben. Auch an die legendäre Zusammenarbeit im „Büro Berlin“, das er 1980 mit Raimund Kummer und Hermann Pitz gegründet hatte, um den öffentlichen Raum zur Kunstfläche zu machen, erinnern nur noch Fotos, Dokumentationen oder Texte. Sie muten aus heutiger Sicht fremd an: „Jeder Ort könnte eine Stelle für Kunst sein", heißt es etwa in dem Buch „Büro Berlin – Ein Produktionsbegriff". Es ist selbstverständlich geworden, dass Kunst im Außenraum nicht nur auf Marktplätzen steht, sondern in den abgelegensten Regionen zu finden ist. Ebenso gängig ist ein Satz geworden wie: „Das Objekt allein ist nicht mehr wichtig.“

In Anlehnung an den französischen Situationisten Guy Debord rückte das Büro Berlin den Begriff der Situation ins Zentrum seiner künstlerischen Praxis und zog der kommerziellen Objektproduktion eine orts- und raumspezifische, ephemere Arbeitsweise vor. Während andere in Berlin Anfang der Achtzigerjahre mit grellen Farben den Hunger nach Bildern stillten, war die Arbeit des Produktionsbüros die Keimzelle für einen neuen Kunstbegriff, der in den Neunzigern Furore machte: sich unabhängig von Galerien und Museen Orte für die Kunst zu erschließen.

Rahmann ist ein Mann mit vielen Begabungen: Er studierte Malerei und Grafik in Düsseldorf, Philosophie und Architektur in Aachen und zog zunächst in die Niederlande, wo er sich zwischen 1963 und ’65 ein Haus baute. Erst 1970 nahm er seine Laufbahn als Künstler wieder auf. Und obwohl er im Studium vor allem gemalt hatte, konzentrierte er sich nun auf Arbeiten, die er mit einfachen Mitteln wie Baustahl oder Zeitungspapier an bestimmten Orten realisierte. Ende der Siebziger entschloss er sich, sein Haus zu verkaufen und nach West-Berlin umzusiedeln, wo Punk und die Jungen Wilden ein Klima des „Alles ist erlaubt“ erzeugten.

Die erste gemeinsame Ausstellung des „Büro Berlin“ fand 1980 als „Neuinszenierung des Bahnhofs Gleisdreieck“ statt und dauerte nur einen Tag. Der U-Bahnhof wurde seinerzeit kaum frequentiert, was die Künstler bewog, ihn zu ihrer urbanen Bühne zu machen. Hermann Pitz installierte eine über 100 Meter lange Miniaturseilbahn, mit einer Figur, die einen Fotoapparat vor den Augen hielt – und spielte damit direkt auf die Omnipräsenz des DDR-Grenzpersonals an. Rahmann simulierte aus Folie, Holz und Absperrband drei Baustellen, die für ihn keinen symbolischen Charakter hatten, sondern „konkrete, funktionelle Maßnahmen waren, um die Stelle als Ausstellung einzurichten, begehbar und sichtbar zu machen.“

Die Schattenseite dieser ambitionierten Haltung liegt auf der Hand: Kommerziell verwertbar war sie eigentlich nie. Konnte Rahmann eine Zeit lang noch vom Verkauf des Hauses leben, fertigte er von 1980 bis 1993 Wagen für den Düsseldorfer Karnevalsumzug. Und es scheint im Nachhinein fast zynisch, dass ausgerechnet das situativ arbeitende Büro Berlin Ende der Achtziger 400 000 Mark Senatsgelder zugesagt bekam, als sich 1989 die ganze Stadt änderte. „Nach der Wende war Berlin schlagartig eine Stadt mit einer anderen Thematik“, erinnert sich Rahmann. „Plötzlich waren wir die alten West-Berliner-Polit-Künstler.“ Das Geld wurde anderswo gebraucht, das Büro Berlin löst sich auf.

Rahmann wurde 1993 Professor der Weimarer Bauhaus-Universität. Doch auch vorher sah er trotz der viele Jahre anhaltenden finanziellen Bedrängnis nie eine Alternative zu seiner Arbeitsweise. Er musste, sagt Rahmann, immer wieder von vorn anfangen, um so nah wie möglich an der Gegenwart zu bleiben. Es ist, als hätten seine Aktionen im Vorfeld nie ein erklärtes Ziel, sondern einfach eine Dauer, deren Anfang und Ende nicht immer auszumachen sind. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Ausstellung im Haus am Lützowplatz erstmals dem Lebenswerk Rahmanns widmet. Seinen Prinzipien ist er auch in den neuen Arbeiten treu geblieben, wie bei der aus neun Leuchtkästen bestehenden Skulptur „Tobias und der Engel“. Ausgehend von einer Kindheitserinnerung suchte er ein bestimmtes Bild als Vorlage für einen Aufbahrungsraum in einem Krankenhaus. Das Abgabedatum für den Wettbewerb war längst überschritten, da entdeckte Rahmann das Gemälde eines Tizianschülers und realisierte die Skulptur. Ohne Frage: In den Neunzigerjahre sind andere Künstler zu Helden geworden. Fritz Rahmann hat vielen von ihnen die Türen geöffnet. Zumindest gedanklich.

Haus am Lützowplatz, bis 6. April, Di-So 11 bis 18 Uhr .

Katrin Wittneven

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