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Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez antwortet am 23. Juli im Kongress auf den verbalen Ausfall ihres Kollegen Ted Yoho.

© dpa

Gegen Sexismus und Machotum: Warum AOC eine der Reden ihres Lebens hielt

Alexandria Ocasio-Cortez' Replik auf die misogyne Beleidigung eines Republikaners sprach Wählerinnen aus dem Herzen. Denn Sexismus ist überall. Eine Kolumne.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Wir wissen es. Männer (nicht alle, doch zu viele) reden sexistisch über Frauen, sagen „verdammte Schlampe“ („fucking bitch“), finden Frauen „schrill“, „anstrengend“, „zickig“, auch „ungevögelt“ oder, das ist der Klassiker, wenn eine Frau etwas leistet, „ehrgeizig“. Frauen bezahlen dafür, indem sie die rhetorische Gewalt aushalten und (im sorgfältig ausgewählten Moment) kontern und indem sie die beruflichen Nachteile abfangen.

Ich weiß es, da ich es dutzendfach erlebt habe: Die Anliegen von Kolleginnen („Wann erscheint mein Text?“, „Wieso wollen Sie mich nach meiner Elternzeit in Teilzeit zwingen?“) werden nicht immer, aber oft unter Verwendung der genannten Adjektive und ohne die Bewertung von Leistungen abgeblockt, während schwächere, dreistere Männer mit ihren Forderungen durchkommen. Eine Gehaltsverhandlung, die wegen sexistischer Vorurteile scheitert, kann 30 oder 40 Jahre lang Folgen haben.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Meine geschätzte Kollegin, die Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün, bat am Samstag ihre männlichen Leser, sich umzuhören. Und ja, jede Umfrage in der Familie und im Freundinnenkreis ergibt: Männer sexualisieren, denunzieren und degradieren Frauen via Sprache am Arbeitsplatz, im Privatleben, im Straßenverkehr (und wo bitte nicht?), und jede Frau erlebt das ständig – Alexandria Ocasio-Cortez hat recht.

Die mieseste Entschuldigungsrede, die ein Mann halten kann

Dies ist diesmal passiert: Der republikanische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Ted Yoho beleidigte auf den Stufen des Kapitols von Washington, D.C., seine demokratische Kollegin Ocasio-Cortez, nannte sie widerlich, gefährlich, irre („out of your freakin' mind“), wartete, bis sie außer Hörweite war, und schob vor Zeugen ein „fucking bitch“ nach. Sie schwieg zunächst, und hinterher sagte sie, sie kenne diese Sprache viel zu gut, aus den U-Bahnen New Yorks und den Bars der Bronx, in denen sie einst kellnerte.

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Yoho hielt die mieseste Entschuldigungsrede, die ein Mann halten kann: Er könne gar nicht frauenfeindlich sein, er habe zwei Töchter, sei seit Jahrzehnten verheiratet, und für seinen Gott und sein Vaterland würde er sich auch nicht entschuldigen. Es war das Gegenteil von Reue. Was er nicht aussprach, aber auf seine Art sagte: Sie sind so lästig, diese hysterischen Weiber.

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AOC, so wird Ocasio-Cortez, Shooting-Star der Demokraten, genannt, konterte dann doch, 9:50 Minuten lang nur. Mit wenigen Notizen. Mit viel Leidenschaft, aber ohne Wut, mit klaren, kunstvollen Sätzen: Was bitte haben Töchter mit Würde und Integrität eines Mannes zu tun? Sie sei übrigens auch eine Tochter. „Dieses Thema hat nicht mit einem Einzelfall zu tun. Es geht um die Kultur des fehlenden Schutzes, des Akzeptierens von Gewalt und gewalttätiger Sprache gegen Frauen und eine absolute Machtstruktur, die das unterstützt.“

Rostige Fallen der Geschlechterdebatte

Verblüffend: Einige Beobachter tappten selbst nach dieser Rede noch in die längst rostigen Fallen der Geschlechterdebatte. Diverse Männer lobten Yoho für seine schnelle Entschuldigung, und die „New York Times“ lobte AOC für raffinierte Markenbildung und zitierte das Opfer und nicht den Täter mit den Worten „fucking bitch“.

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sagte mir, dass die besten Reden „ein großes Anliegen“ mit „echter persönlicher Erfahrung“ verbänden und aus der Kombination von Vorbereitung und Mut zum freien Vortrag sowie perfektem Timing ihre Kraft gewännen. Ein solcher Moment war es: Alexandria Ocasio-Cortez ist erst 30 Jahre alt, doch sie hielt, das wissen wir heute schon, eine der Reden ihres Lebens. Es war ja nicht weniger als die perfekte Erfüllung des Auftrags an Politikerinnen und Politiker in Demokratien: Sie sprach für ihre Wählerinnen, für sämtliche Frauen, und sie meinte uns alle, vor allem uns Männer, zu Recht.

Klaus Brinkbäumer

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