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Oona Doherty verarbeitet in ihrem Stück „Navy Blue“ die eigene Verzweiflung aber auch allgemeine Ängste.

© Sinje Hasheider

Tanz im August: Wechselbad der Gefühle

Blues mit Körpern: Die Choreografinnen Robyn Orlin und Oona Doherty und ihre aufwühlenden Produktionen bei „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

Überbordende Lebensfreude und abgrundtiefe Verzweiflung – die Produktionen von Robyn Orlin und Oona Doherty bescherten dem „Tanz im August“ ein Wechselbad der Gefühle. Die sechs südafrikanischen Perfomer:innen von der City Theater & Dance Group aus Johannesburg ziehen zunächst mit Tröten durchs Foyer der Volksbühne.

Auf der Bühne weisen sie dann den Beleuchter an, sie  in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. Schließlich habe das Berliner Publikum mehrere Jahre auf die Produktion warten müssen. 

Das Stück mit dem ellenlangen Titel „We wear our wheels with pride and slap your streets with color… we said ,bonjour’ to satan in 1820…“ sollte eigentlich schon 2020 in Berlin gezeigt werden. Nun endlich konnte die Gruppe ihr fröhliches Spektakel aufführen, bei dem sie auch das Publikum aus der Reserve lockte.

Stolze Rikschafahrer im fröhlichen Bühnendesign

Robyn Orlin, die in Durban in Südafrika aufwuchs, pendelt heute zwischen Berlin und Johannesburg. In ihren Stücken setzt sie sich immer wieder mit Kolonialismus und den komplexen Realitäten der Regenbogennation auseinander. „We wear our wheels with pride“ ist eine Hommage an die Rikschafahrer, die in ihrer Kindheit das Stadtbild prägten. Am Ende sieht man in einem alten Film, wie ein Schwarzer in seinem Gefährt einen weißen Mann befördert. Im Nachspann heißt es: „Im Gedenken an die Rikschafahrer, die nie älter als 35 Jahre geworden sind.“

Die sozialen Realitäten blendet Orlin aber bewusst aus. So wie die Zulu-Fahrer sich herausputzten, so legt sich auch das Stück eine poppig-bunte Oberfläche zu.

Live-Video kommt zum Einsatz. Der  Videodesigner Eric Perroys transformiert das Bühnengeschehen dann in farbenfrohe Collagen. Das Musikduo UkhoiKhoi mit der tollen schwarzen Sängerin Anelisa Stuurman feuert die Performer:innen an. Die tragen Kopfschmuck mit Kuhhörner und preisen lautstark ihre Fahrkünste an.

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Das Publikum fordern sie auf, auf ihren Sitzen vor- und zurück zu schaukeln. Und fast alle machen mit. Über eine Stange gebeugt, sieht man die Performer strampeln. In ihren fantasievollen Gewändern muten sie aber eher wie mythische Gestalten an.

Zum Schluss erzählt einer der Performer, er arbeite heute als Uber-Fahrer – es sei derselbe Kampf. Es ist der einzige Verweis auf die prekären Arbeitsbedingungen. Orlin macht kein politisches Theater westlicher Prägung. Als weiße Choreografin sieht sie es als ihre Aufgabe, den Humor, die Fantasie und die Energie der südafrikanischen Tänzer:innen so in Szene zu setzen, das sie als eine Form des Widerstand erscheinen.

Die Angst kann nicht abgeschüttelt werden 

Den Blues kann man dann bei Oona Dohertys „Navy Blue“ im Haus der Berliner Festspiele bekommen. Die Belfaster Choreografin Oona Doherty ist ein Shootingstar der internationalen Tanzszene und hat sich mit sozialkritischen Arbeiten einen Namen gemacht. Mit „Hard to be Soft - A Belfast Prayer“, einem Portrait der Arbeiterklasse zwischen Härte und Sehnsucht, begeisterte sie 2019 das Publikum beim „Tanz im August“

„Navy Blue“ ist ihr erstes Stück für größeres Ensemble; die zehn Tänzer:innen hat sich in ganz Europa gecastet. Doherty hat In der düsteren Choreografie zur Musik von Rachmaninow und Jamie xx auch die eigene Depression verarbeitet. Wenn die ersten Takte von Rachmaninows zweitem Klavierkonzert erklingen, rucken die Tänzerinnen in ihren marineblauen Outfits wie aufgescheucht mit dem Kopf, um bald kraftlos in sich zusammenzusinken.

Oona Doherty zeigt, wie der Schrecken den Tänzerinnen in die Glieder fährt. Sie sind hier einer namenlosen Bedrohung ausgesetzt. Immer wieder drängen die Performer:innen ihre Körper aneinander und suchen Schutz im der Gemeinschaft.  Sie laufen mit gehetzten Bewegungen über die Bühne, ohne die Angst jemals abschütteln zu können.

Im zweiten Teil dominiert die Stimme Dohertys

Die Choreografie, die viel mit chorischen Elementen arbeitet, bewegt sich zwischen Aufbegehren und Resignation. Dann ist ein Schuss zu hören, ein Mann bricht zusammen - unter seinem Körper eine Lache aus bläulichen Licht. Nacheinander fallen alle zu Boden und bleiben reglos liegen.

Im zweiten Teil dominiert dann die raue Stimme Dohertys. In einem langen Monolog klagt sie korrupte Politiker.innen und totalitäre Herrscher an. Das steigert sich zur wütenden Abrechnung mit der menschlichen Spezies, die sich anschickt, das Leben auf diesem Planeten zu zerstören. Auch am Sinn der Kunst zweifelt Doherty.

Das Stück endet mit dem furiosen Solo einer Tänzerin, die mit nackten Oberkörper versucht, die Dämonen zu vertreiben. Eine schwarze Frau nimmt sie in die Arme. Ein bisschen kitschig ist dieses Ende schon. Dennoch ist „Navy Blue“ ein mutiges, aufwühlendes Stück.. Oona Doherty gibt nicht nur ihre eigene Verzweiflung preis, sie zielt  auf unser aller Ängste.

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