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Kultur: Weißer Traum

In Berlin eröffnet ein deutsch-polnisches Theaterstudio

Berlin hat ein neues Theater. Ein kleines, in einem der verschachtelten Gebäudekomplexe des Salzufers auch arg verstecktes, aber ein besonderes. Das Teatr Studio, mit einer Aufführung des Stücks „Weiße Ehe“ von Tadeusz Rózewicz eröffnet, will polnische Theatertradition und polnische Kultur wieder stärker ins Bewusstsein des Berliner Kulturlebens rücken und damit an eine lange Tradition des fruchtbaren geistigen Austauschs zwischen beiden Ländern anknüpfen. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Internationale Theaterwerkstatt Berlin e. V., eine 1999 gegründete offene europäische Einrichtung. Drei Jahre später wurde dieser Werkstatt die Transform-Schauspielschule angegliedert, in der Dozenten aus Polen, Deutschland und den USA vorwiegend deutsche und polnische Studenten, aber auch Schauspielschüler aus anderen Ländern ausbilden.

Seit August 2002 haben Studio und Schule am Salzufer 13/14 Arbeitsmöglichkeiten gefunden, nun gab es, mit beachtlicher Unterstützung auch des politischen Berlin, die erste Premiere mit Eleven der Schauspielschule in deutscher Sprache. Die Studiobühne will kein isolierter Ort sein, daher spielt sie primär in deutscher Sprache und nur punktuell in polnischer für die Deutschen und Polen in Berlin und Umgebung.

Tadeusz Rózewicz schrieb die „Weiße Ehe“ 1973 als ein Traumspiel über den gefangenen, entwürdigten Menschen. Zwei junge Mädchen erleben die Pubertät als dumpfe Lustverheißung und als schreckensvollen Alptraum. Für sie löst sich das Wirkliche eines scheinbar freundlichen familiären Alltags auf. Plötzlich sind sie gefangen in einer hochgeladenen, schwülen Atmosphäre immerwährender Triebbefriedigung. Bestürzt, erhitzt, neugierig stehen die Mädchen Erwachsenen gegenüber, die sich ihrer Verlogenheit unverschämt hingeben. Bianca, der ungewollten Heirat entgegentaumelnd, versucht im Gegensatz zur anpassungsfähigen Paulina die Rebellion. Sie findet den Weg zur Freiheit nicht, sondern wählt die radikale Entsagung, die Selbstzerstörung, die Absage an ihre Bestimmung als Frau. Sie geht eine „weiße Ehe“ ein, verweigert den Körper.

Nicht die äußeren, die inneren Vorgänge sind für Rózewicz dabei wichtig. Er erzählt über Bedrückungen, die aus der Fantasie der Mädchen aufsteigen, zeigt das zwanghafte Entstehen einer eigentümlichen Welt, in der geheimnisvolle Rituale mit Tiermasken ablaufen, ständige Bewegung herrscht und jeder alltägliche Vorgang beladen ist durch erotische Anzüglichkeiten.

Bürgerliche Moral steht am Pranger, aber mit hintergründiger Ironie, mit dem schwebenden Ineinander von Tragik und Komik, von verzweifeltem Ernst und toller Clownerie. Janina Szarek, mit Olav Münzberg künstlerische Leiterin der Produktion, hat diesen enormen Reichtum an emotionalen Überlagerungen zupackend inszeniert, vor kräftigen Wirkungen nicht zurückschreckend, und dabei mit einem genauen Gespür für die besondere, gesteigerte Lebensart der Figuren. Die Bürgerwelt stellt sie ganz unverschlüsselt zur Schau, offenbart ihr erstarrtes Posieren in zeremoniös gefrorenen Gruppen, die wie von alten Fotos abgenommen sind.

Das Ensemble baut sich die Räume in dem sparsamen, gleitenden Bühnenbild von Andre Putzmann selbst, schafft Wälder, Landschaften, Traumgebilde, in denen Bianca verloren gegangene Kindheit sucht. Ein magischer Klangteppich liegt über der Szene, die ihre Geheimnisse nur zögernd preisgibt, aus nachtschwarzem Dunkel erwachend.

Erstaunlich, wie frisch und komödiantisch unbekümmert die Schauspielstudenten spielen. Sie haben Freude an eindeutig bloßstellender, gestisch einfallsreicher Charakterisierung, meistern das raffiniert Künstliche der bürgerlichen Existenzen. Jana Hoffmann und Vanessa Rose spielen die Mädchen, klug abgesetzt von der Unnatur der Erwachsenen. Ungelenk, verstört, suchend zeigt Jana Hoffmann die Bianca, kindlich prall und aufgedreht lustig Vanessa Rose die Paulina. Dem neuen deutsch-polnischen Teatr Studio am Salzufer gelang ein verheißungsvoller Start.

Nächste Aufführungen der „Weißen Ehe“ an jedem Sonnabend und Sonntag von März bis Juni 2004. Telefon 030 - 324 23 41.

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