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Christina Pluhar

© Michal Novak

Musikfestspiele Potsdam: Welche Meere hast du überquert?

Christina Pluhar und ihr Ensemble L’Arpeggiata präsentieren bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci eine Reise über den Balkan.

Blaue Stunde am Fuße der Terrassen, die hinauf zum Orangerieschloss Sanssouci führen: Preußische Italiensehnsucht glimmt auf im Scheinwerferlicht, die letzten Flugzeuge des Tages ziehen flüchtige Spuren über den Himmel. Und auf einmal klingt das Meer ganze nahe: Das Rollen der Wellen schwappt herab vom Podium, mischt sich mit Möwenschreien und brandet zart an die Sitzreihen. Die andächtige Gemeinschaft, die sich zur späten Stunde in den Park aufgemacht hat, kauert selbstvergessenen Sommergästen gleich auf sagenhaft unbequemen Klappstühlen, die knarrend auf kleinste Gewichtsverlagerungen reagieren. Man könnte sich einreden, dabei Zikaden zu lauschen.

Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci laden unter ihrem Thema „Europa“ (noch bis 24. Juni) zu einer Reise über den Balkan und erkunden dabei unter anderem jene Routen, auf die sich Geflüchtete aus Syrien machen mussten. Auch ist es noch gar nicht lange her, dass der Balkan selbst Schauplatz von Krieg und Vertreibung war. Der kulturelle Reichtum von Europas Tor zum Osten gerät darüber leicht in Vergessenheit. Doch Christina Pluhar und ihr Ensemble L’Arpeggiata verstehen sich darauf, musikalische Fäden aufzunehmen und weiterzuspinnen. Ob von Griechenland über Mazedonien und Serbien nach Kroatien oder von Bulgarien die Donau aufwärts – Pluhar reißt mit leichter Hand einen Klangraum auf, der mit vielen Tränen angefüllt ist.

Überirdisch zarte Stimme Vincenzo Capezzutos

Lieder von Liebesqualen und Klagen um die verlorene Heimat senden Seufzer in die Sommernacht, sanft umspielt von traumwandlerischen Interpreten, die das Instrumentarium alter und traditioneller Musik verschmelzen, als hätte es immer nur diesen Fluss gegeben. Pluhar, die Regisseurin an der Laute, ist eine Meisterin darin, Stimmungen zu setzen, Stimmen zueinander zu bringen. Ein Coup ist ihr mit der Verpflichtung der Bulgarian Voices Angelite gelungen, einem Frauenensemble, das so bildhaft und leuchtend zu singen vermag wie die bunt bestickten Trachten der Sängerinnen. Ihre virtuos rhythmisierten Lieder vom Dorfleben bringen einen dringend benötigten Tonfall in das Programm ein – den des Übermuts und der liebevollen Ironie.

Ohne ihn droht einen auf der nächtlichen Balkan-Passage der Beladenen der Schlummer zu überfallen. Das neueste Programm von L’Arpeggiata wirkt noch im Stadium der Selbstvergewisserung gefangen. Ungebremste Platzeroberungen wie die Arabesken des bulgarischen Akkordeonisten Petar Ralchev weiß Pluhar nicht zu kontern. Die überirdisch zarte Stimme Vincenzo Capezzutos möchte man viel häufiger hören. Immerhin darf er sich mit seinem tänzerischen Talent in die „Pizzica di San Vito“ werfen, mit der das Feuerwerk einsetzt. Die Lichtspiele der unteren Terrassen verglühen zwar im Schatten der Bühne, doch Europa leuchtet – auch dank derer, die sich auf den Weg dorthin machen.

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