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Daniele Gatti zu Besuch in Berlin.

© dpa

Daniele Gatti in der Philharmonie: Wellenklang

Mediterrane Klänge, ein atlantisch-stürmisches Finale: Daniele Gatti bei den Berliner Philharmonikern.

Bei Arthur Honeggers 3. Sinfonie ist Daniele Gattis Gestik überdeutlich. Als müsse eine schwere Materie angeschoben werden, nutzt der Dirigent nicht nur den Taktstock, sondern schaufelt immer wieder seine Arme dem Orchester entgegen. Und so klingt das 1945 komponierte Werk dann auch: erdschwer, mit viel Widerstand. Erst allmählich wird Reibungsenergie freigesetzt, kommt die Chose ins Rollen. Nach langer Pause schließt sich der düstere Beginn des Adagio an, das Finale wirkt wie die Begleitung zu einer gruseligen Stummfilmszene, suggestiv und eindringlich.

1997 schon hatten die Berliner Philharmoniker dem Mailänder Maestro ein Debüt ermöglicht. Doch während sich Tagesspiegel-Kritiker Albrecht Dümling damals ziemlich begeistert zeigte, waren die Musiker nicht überzeugt. Viele Jahre war Daniele Gatti dann nicht mehr in Berlin präsent, machte aber anderswo Karriere, dirigierte bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen, begann eine enge Beziehung zum Amsterdamer Concertgebouworkest, mit dem er 2013 beim Musikfest Berlin gastierte und das ihn im vergangenen Jahr zum Chef erkor. Nach 17 Jahren gaben die Philharmoniker dem Italiener dann endlich eine zweite Chance, waren begeistert und luden ihn erneut ein.

Höhepunkt und Aha-Erlebnis: "La mer"

Was sich Gatti bei dem eigenwilligen, rein französischen Programm gedacht haben mag, das er nun zu seinen dritten Auftritt mit den Philharmonikern mitbrachte, erschloss sich erst vom Ende her – als klingendes Triptychon der drei Aggregatzustände: vom Festen über das Gasförmige zum Flüssigen. Auf Honeggers gewichtiges Werk lässt Gatti nämlich Henri Dutilleux’ „Metaboles“ folgen, ein sinfonisches Lüftchen gewissermaßen, ein dekorativ-duftiges Stück, das nacheinander jeder einzelnen Instrumentengruppe Gelegenheit zum Glänzen gibt, bevor alle ihre Kräfte zum Abschluss kurz zusammenballen.

Höhepunkt und Aha-Erlebnis des Abends aber wird „La mer“. Debussys tonmalerische „Skizzen“ vermag der Italiener wunderbar frei strömen zu lassen. Wobei die ersten beiden Sätze in der Klangfarbenwahl deutlich mediterran klingen, mit ihren Hellblau- und Smaragd-Schattierungen und viel glitzerndem Sonnenlicht auf feinen Schaumkronen. Gattis schnelle Tempi wirken absolut organisch, gerade im atlantisch-stürmischen Finale, das getragen wird von diesem magischen Philharmoniker-Klang, einem Klang, der aus Flexibilität, Aufmerksamkeit und technischer Brillanz entsteht, wenn wirklich alle Individuen dieser Gemeinschaft in dieselbe Richtung streben. Simon Rattle beschreibt diese kostbaren, beglückenden Momente mit den Worten: „Dann können wir fliegen.“ Oder in diesem Fall: Wellenreiten.

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