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Der Dirigent Andris Nelsons

© picture alliance / dpa/Britta Pedersen

Andris Nelsons dirigiert die Philharmoniker: Weltenbrand und Freundeshand

Die Mahlersche Zweite wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch: Der Lette Andris Nelsons dirigiert die Berliner Philharmoniker und den MDR-Rundfunkchor.

Das erste Stück des Abends wirkt wie vom Landesrechnungshof verordnet: Wenn die Berliner Philharmoniker schon den MDR-Rundfunkchor anreisen lassen, dann soll der gefälligst nicht nur seinen kurzen Einsatz im Finale von Gustav Mahlers 2. Sinfonie beisteuern, sondern außerdem, bitteschön!, auch noch ein A-Cappella-Stück. Jedenfalls leitet der Dirigent Andris Nelsons die Leipziger Profisängerinnen und -sänger zu Beginn des Abends durch Maija Einfeldes „Lux aeterna“, einen 2012 komponierten Siebenminüter, dessen milde Mischklänge das Publikum zur inneren Sammlung anregen. Wobei die so entstehende Atmosphäre der kollektiven Konzentration sofort wieder verpufft, weil die Leute im Saal verständlicherweise ihre Plaudereien erneut aufnehmen, als dann die Philharmoniker auf die Bühne tröpfeln.

Auch im zweiten Anlauf aber weiß Nelsons die Aufmerksamkeit der Zuhörer schnell zu fesseln: Indem er den monumentalen Eröffnungssatz der Mahlerschen Zweiten wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch anlegt: Was der niederländische Meister des 15. Jahrhunderts auf seinen faszinierend vielgestaltigen, apokalyptisch anmutenden Wimmelbildern räumlich zusammendrängt, übersetzt der lettische Dirigent in die Zeitebene. Opernhaft-effektvoll geht es da zu, grell und bunt, die Bläsersolisten brillieren, das Riesenorchester darf sich prachtvoll entfalten, klanglich wird vieles virtuos in die Tiefe gestaffelt. Das hat Schauwert, verfehlt seine Wirkung nicht – wobei Nelsons das Laute nie ins Lärmende kippen lässt, beim Zarten stets Anstandsabstand zum süßlichen Kitsch wahrt. Der 40-jährige Lette vermag das Disparate dieser Musik zusammenzuzwingen, weil er die zerklüftete Tonlandschaft souverän überblickt, Kommendes stets gedanklich antizipiert.

Schwer ist es, nach diesem Weltenbrand neu anzusetzen, den zweiten Satz schweben zu lassen, ins liebliche Dahinwalzern des dritten fein dosiert dissonante Bitterstoffe einzuträufeln – aber hier gelingt's. Wundermild erstrahlt das „Urlicht“-Intermezzo in Gerhild Rombergers innigem Gesang: Wie eine Umarmung wirkt ihre geschmeidige Altstimme. So entsteht ein Moment des Atemholens, des Kraftschöpfens vor dem Gipfelsturm des Finales. Sicher geleitet von seiner natürlichen Musikalität schreitet Andris Nelsons erneut zielstrebig voran, lässt jupiterhaft die Himmel aufreißen, schafft aber auch die nötige Ruhe für Klopstocks raunende „Aufersteh'n“-Verse. Der MDR-Rundfunkchor singt sie mit dichtem, fokussierten Klang, in suggestivem Pianissimo – eine gute Investition, die jeden Steuercent wert ist.

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