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Kultur: Wenn das Leben dich beißt

Besuch bei einem maulfaulen Poeten: Olli Schulz lässt seine Lieder für sich sprechen

Abschied. Eine verhangene Klaviermelodie wie im Kino, Mollakkorde. Dann setzt der Rhythmus ein, die Gitarren rocken los. Und der Sänger singt: „Auf der Straße tobt der Regen / In seinem Wagen die Musik / Er fährt noch einmal durch die Gegend / In der sein Herz begraben liegt.“ Aufbruch. „Lass die Anderen einfach stehen / Zerschlage dein System / Setz deinen Ruf aufs Spiel / Und erwarte mehr als zuviel.“ Abgang.

„Rückspiegel“ heißt das Stück auf dem neuen Album von Olli Schulz, und der Hund Marie, seine stoisch scheppernde Geradlinigkeit erinnert an Blumfeld. Dreißig Jahre hat Schulz in Hamburg gelebt, vor einem Jahr ist er nach Berlin gezogen. Ist das die Geschichte, die der Song erzählt? „Kann ich nicht sagen, das muss jeder selbst sehen, was er in einem Text findet. Wenn ein Song fertig ist, dann musst du ihn als Musiker auch loslassen können.“

Grelle Spätherbstsonne fällt durchs Gartenfenster in Schulz’ Wohnung in Lichterfelde-Ost. Der Hund des Musikers, der natürlich nicht Marie, sondern Ronja heißt, begrüßt schwanzwedelnd den Besucher, ein sechs Woche altes Kätzchen tollt durchs Zimmer. Es gibt noch eine weitere Katze, die sich aber nicht zeigt. „Das sind harmonische Tiere, die vertragen sich“, sagt Schulz.

In Berlin lebt der Sänger, weil seine Freundin hier einen Job gefunden hat. Nach Lichterfelde-Ost verschlug es sie, weil der Hund, ein Münsterländer, Auslauf im Grünen braucht. Der Außenbezirk ist alles andere als eine Rockstargegend, aber, findet Schulz, „so schlimm auch wieder nicht“. Manchmal passieren in Lichterfelde ulkige Sachen. Die brasilianische Nationalmannschaft trainierte im Sommer ein paar Straßen weiter auf dem Fußballplatz, auf die deutschen Spieler traf Schulz beim Joggen im Grunewald.

Oliver Marc Schulz, heute 31, galt bislang als großes Talent im deutschen Pop, jetzt ist er, um im Fußballjargon zu bleiben, auf dem Weg zum Führungsspieler. Schon seine ersten beiden Platten „Brichst du mir das Herz, dann brech ich dir die Beine“ und „Das beige Album“, aufgenommen mit Musiker-Kumpel Max Schröder (Künstlername: „der Hund Marie“), wurden für ihre „wie direkt vom Herzblut abgezapften“ Songs und die „irrwitzigen, bisweilen virtuosen Grenzgänge zwischen Banalität und Poesie“ (taz) gefeiert. Auf der gerade erschienenen CD „Warten auf den Bumerang“ lappt die Lyrik nun ins Melancholische.

Es geht um den Minischock, wenn man sich selber betrunken in der spiegelnden Scheibe eines S-Bahn-Waggons erkennt („Wenn das Leben dich beißt“), um die Wut, die man in Zeiten, „wo die Funken sprühen“, aus sich herausschreien möchte („In jede Richtung“), und um die Schwierigkeiten der Liebe: „Du schweigst so gerne / Ich höre so gerne zu“ („Schritt für Schritt“). Schulz’ Singer/Songwriter-Folk strebt hörbar zum Breitwandpop. Streicher schwelgen, Chöre säuseln in diesen „krummen Liedern“, der Gitarrensound ist kunstvoll verflochten. Auf der Bühne gibt Schulz ohnehin alles, „Entertainment kann ich“. Da erzählt er Dönekes vom Gitarrenverkäufer, der ihn mit dem Vorspielen von Thin-Lizzy-Songs gequält hat, und bei einem Solo-Akustik-Auftritt im Kreuzberger Festsaal treibt er das Publikum dirigierend zu „Yeah!“- und Stinkefinger-Reaktionen.

Aber Olli Schulz kann auch maulfaul sein. Vormittags um elf jedenfalls, wenn er gerade erst aufgestanden ist. Seine Biografie herunterzubeten langweilt ihn, das hat er schon tausendmal getan. Ja doch, er hat tatsächlich lange als Roadie gearbeitet. „Genauer gesagt war ich Stagehead, das sind die Typen, die morgens um zehn an der Halle darauf warten, dass die Trucks ausgeladen werden.“ Angefangen hat er als 18-jähriger Abiturient im Hamburger Club „Docks“. Einerseits war er Fan, der „möglichst viele Konzerte umsonst sehen wollte“. Andererseits waren die Einblicke in den Rock’n’Roll-Alltag mitunter erschütternd. Lou Reed „brüllte alle Leute im Umkreis von zehn Metern an, ein ekelhaftes Auftreten“. Und Evan Dando, Sänger der Lemonheads, fiel von der Bühne und Schulz auf den Kopf.

Musik zu machen, sagt Schulz, „war nie mein großes Bestreben“. Ein paar Jahre studierte er Medienwissenschaften, er wollte Filmregisseur werden. Aber alle seine eingereichten Drehbücher wurden von der Hamburger Filmförderungskommission abgelehnt. Seine ersten Songs schrieb er, „um ein Mädchen, in das ich verliebt war, zu beeindrucken oder um mal einen Freund aufzuheitern“. Seine WG mochte das Geschrammel im Wohnzimmer irgendwann nicht mehr mit anhören. Zum Glück traf er den Gitarristen und Schlagzeuger Max Schröder, in St. Pauli, Talstraße, sein Nachbar. Und dann lud ihn sein Freund Marcus Wiebusch, Sänger der Band Kettcar und Mitinhaber des Labels Grand Hotel van Cleef, ein, eine Platte aufzunehmen. Die Platte erschien 2003 und „verkaufte sich halbwegs super“.

„Warten auf den Bumerang“ ist für Schulz „eine gute Metapher dafür, wie man sein Leben verbringt, und ob man am Ende zufrieden sterben kann“. Dass es ein Gedicht von Ringelnatz gibt mit genau dieser Pointe, wusste der Sänger nicht, als er einen Titel für ein neues Album suchte. Weil er „nicht schon wieder eine Akustikplatte machen“ wollte und das Budget bei Grand Hotel beschränkt ist, wechselte er zu einer größeren Plattenfirma. Schulz konnte mit einer richtigen Band arbeiten, drei Monate statt – wie vorher – drei Wochen lang. Es produzierte Moses Schneider (Tocotronic, Kante, Beatsteaks), im Backgroundchor dabei waren Judith Holofernes und Pola Roy von Wir sind Helden. Nun aber genug der Geschichten. Olli Schulz braucht dringend noch einen Kaffee. Und eine Frage will er wirklich nicht mehr hören: Warum der Hund Marie „der Hund Marie“ heißt.

„Warten auf den Bumerang“ von Olli Schulz und der Hund Marie ist bei Labels/EMI erschienen. Die Tournee der Band, die am Freitag in Rostock begann und heute nach Bielefeld führt, endet am 10. Dezember im Berliner Postbahnhof. „Hoologans & Tiny Hands“, das Solo-Debüt von Der Hund Marie, ist bei Grand Hotel van Cleef herausgekommen.

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