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US-Regisseur Woody Allen beim Filmfestival in Cannes.

© Ian Langsdon/dpa

Martensteins Berlinale (9): Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr

Unser Kolumnist will noch einmal über Woody Allen sprechen. Denn er versteht nicht, wieso im Fall des US-Regisseurs die Beweislast umgedreht wird, und der Beschuldigte seine Unschuld beweisen soll.

Die Berlinale geht zu Ende. Eigentlich wollte ich eine Art Bilanz ziehen, aber diesen Text werfe ich weg. Stattdessen komme ich noch mal auf Woody Allen zu sprechen, das scheint mir wichtiger zu sein als dieser oder jener Film. Vermutlich hat meine Verteidigung von Woody Allen bei einigen Widerspruch provoziert.

Eine Frau hat mir geschrieben, dass Allen immerhin seine Ehefrau mit der Stieftochter betrogen und Nacktfotos von dieser gemacht habe. Das empört sie, und sie darf natürlich empört sein. Woody Allen und Soon-Yi, inzwischen seit Langem mit ihm verheiratet, haben aber auch jedes Recht der Welt, sich ineinander zu verlieben. Sie war volljährig und lebte nicht bei ihm.

Auch Herbert Wehner, der verstorbene SPD-Politiker, hat übrigens seine Stieftochter geheiratet. Filme von Herbert Wehner dürften bei der Berlinale dann wohl auch nicht gezeigt werden. Jeder darf lieben, wen er oder sie will, mit wenigen Ausnahmen, etwa, was Kinder betrifft – stimmt das plötzlich nicht mehr? Wollt Ihr wirklich zurück in die 50er Jahre?

Vorwurf vom Tisch, Verfahren eingestellt

Das Hauptargument der Allen-Hinrichtungskommandos ist der Sorgerechtsprozess um die anderen Kinder, den Allen verloren hat. Das Urteil kann man bei „Emma“ nachlesen, es ist leicht im Netz zu finden. In diesem Prozess ging es nicht um den Missbrauchsvorwurf. Der ist vom Tisch, Verfahren eingestellt. Es ging um die Frage, ob Allen ein guter Vater ist und bei wem die Kinder besser aufgehoben sind. Der Richter schrieb, es sei „nicht auszuschließen“, dass der Vater die Tochter missbraucht habe. Das stimmt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ich Woody Allens Tochter missbraucht habe, ein Alibi besitze ich nicht.

Begreifen Sie, wie skrupellos da vorgegangen wird? Die Beweislast wird umgedreht, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Aus der Niederlage im Sorgerechtsverfahren wird gefolgert, dass Allen auch in der anderen Sache schuldig sein muss. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Ladendiebstahl begangen, und Ihre Feinde erklären, damit sei bewiesen, dass Sie auch bewaffnet eine Bank überfallen haben. Ein Albtraum. Das Ende jeder Rechtsstaatlichkeit, ein Verrat am Erbe der Aufklärung. Und die Berlinale hatte nicht den Mumm, hier ein klares Wort zu sprechen.

Fest steht: Woody Allen hat Nacktfotos gemacht, oh weh. Wenn die Filmkunst solche Freunde hat, dann braucht sie keine Feinde mehr. Das ist ja auch eine Art Bilanz.

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