Kultur: Wer’s glaubt
Wir sind „Die Gottlosen“: Stefan Bachmann wagt sich im Gorki-Theater an Paul Claudels Ideendrama
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Der Abend dauert fünfeinhalb Stunden, aber das Eigentliche ist viel früher über die Bühne gegangen, denn die größte und mutigste inszenatorische Entscheidung dieses Projekts besteht darin, dieses Mammutwerk überhaupt aufzuführen. Stefan Bachmann zeigt Paul Claudels „Trilogie“, die in seiner Version „Die Gottlosen“ heißt, fast dreihundert Seiten umfasst und gewissermaßen den „Wallenstein“ des Gorki-Theaters darstellt. Nur dass, im Gegensatz zu Schiller, Claudel ein eher unbekannter Autor ist. Anfang des 20. Jahrhunderts war er in Frankreich zwar sehr erfolgreich, wurde wegen seines mystischen Katholizismus und kaum latenten Antisemitismus von den 68ern inbrünstig gehasst und geriet in Vergessenheit. Nun taucht Claudel vereinzelt wieder auf den Spielplänen auf, weil seine eher handlungsarmen Ideenstücke nicht nur die wieder in Mode gekommenen letzten Fragen behandeln, sondern auch eine ätzende Darstellung einer säkularisierten, hochkapitalistischen, sinnentleerten Welt beinhalten.
Stefan Bachmann, der sympathischerweise auch persönlich immer wieder am hochkapitalisierten, oft sinnentleerten Theaterbetrieb leidet, hat in Basel Claudels barockes Hauptwerk „Der seidene Schuh“ herausgebracht und ist darüber zum Claudel-Verehrer geworden, der es sich zur Aufgabe macht, den Autor wieder bekannt zu predigen und dessen Religiosität als „Rebellion gegen den Zeitgeist“ zu verstehen. In einem manifesthaften Text im Programmheft heißt es, Claudel sei „nicht der autor anachronistischer weihespiele, sondern er ist ein dostojewski des theaters …“ Und weiter: „in der trilogie zeigt er uns, woher wir kommen, wodurch wir uns definieren und was wir vermissen: wir sind die ,gottlosen’.“
Diese Verehrung merkt man der Inszenierung an – und mit seiner lehrerhaften Haltung treibt Bachmann ein selbstironisches Spiel: Er und sein Bühnenbildner Michael Simon lassen die Geschichte zwischen riesigen Schultafeln stattfinden! Im ersten Bild betritt Anja Schneider, ein riesiges Holzkreuz auf dem Rücken, die Bühne, pflanzt den Gekreuzigten in die Mitte des Raumes und malt dann mit Kreide an die hintere Wand die Umrisse zweier Figuren. Umrisse werden an diesem Abend noch viele gezeichnet, in die die Schauspieler sich immer wieder hineinstellen, unbewegt wie Standbilder – nicht nur Verweis auf das Papierne der Vorlage, sondern auch auf das Korsett des Regisseurs. Bachmann verehrt Claudel zwar, aber er glüht nicht mit ihm. Vor dessen monumentalem Glauben steht er naiv staunend wie der Ochs vorm Berg. Das heißt: er inszeniert die Trilogie – eine Zweifamiliensaga aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts – nicht, sondern hält ein Referat mit theatralischen Mitteln. Und das ist interessanter als ergreifend.
Anja Schneider ist Sygne de Coufontaine, die Hauptfigur des ersten Teils „Die Geisel“, und ihr Konflikt überspannt die gesamte Trilogie: Soll sie weltlich lieben, nämlich ihren Cousin George (Sebastian Blomberg) – die beiden sind die letzten Überlebenden eines hingerichteten Adelsgeschlechts – oder soll sie das Persönliche für die „göttliche Gnade“ opfern? Sie opfert sich, was bedeutet, dass sie, um das Leben des von George entführten Papstes zu retten, den gehassten Toussaint Turelure (Peter Kurth) heiratet. Turelure ist der Sohn von Sygnes Magd und durch die Revolution an die Macht gespült worden. Als es zwei Jahre später zum Duell der beiden Männer kommt, wirft Sygne sich dazwischen, opfert sich ein weiteres Mal und stirbt.
Claudels Sicht ist klar: Er erzählt aus der Position einer Selbstaufgabe verlangenden „göttlichen Schöpfungsordnung“, aus der unterschiedliche Konstellationen durchgespielt werden: In „Die Geisel“ ist es die Spannung zwischen katholischer Weltanschauung und aufklärerischem Atheismus, in „Das harte Brot“, das einige Jahrzehnte später spielt, wird dem Glauben eine sexuell enthemmte, nur noch am Materiellen interessierte Gesellschaft gegenübergestellt, während „Der Erniedrigte“ den Konflikt ins Private wendet: Die blinde Pensée – Braut, Vermittlerin göttlicher Wahrheiten und also geistige Enkelin Sygnes in einem – liebt Orian, der sich nicht ganz zu seinen Gefühlen durchringen kann. Schließlich weiß Pensée ihn nicht nur von ihren Gefühlen zu überzeugen, sondern auch an das Erlebnis einer zweiten, spirituellen Geburt heranzuführen. Die ist natürlich unkörperlich, und deshalb muss Orian auch auf dem deutsch-französischem Schlachtfeld sterben, während die schwangere Pensée seinen Bruder heiratet.
Vor historischem Panorama agieren wenige Figuren – und durch das Kammerspieltor gelangt auch Bachmann in Claudels Reich. Da ihm der Zugang zum Rigorosen verwehrt bleibt, konzentriert er sich aufs Handfeste. Das Mystische wird rezitiert, das Irdische ansprechend gestaltet und an manchen Stellen mit komödiantischen Einlagen garniert. So wird aus der „Geisel“ eine wohltemperierte Dreiecksgeschichte, in der Peter Kurth als bauernschlauer Widerling beeindruckt. „Das harte Brot“ gerät zu einem burlesken Schwank mit Vater-Sohn-Konflikt, in dem sich die Schauspieler nicht nur zum Gruppensex positionieren, sondern Sebastian Blomberg in einem fulminanten Auftritt als Buchhalter auch zeigt, wie gut er schwäbisch spricht.
Im letzten Teil stehen Pensée und Orian, Melanie Kretschmann und Sebastian Blomberg einander an Wänden gegenüber, ringen über die Leere des Raumes hinweg um die weltlichen und geistigen Details ihrer Liebe und kämpfen gegen das Begehren, das ihre Körper wie magnetisch zueinanderzieht. Es will kein Ende nehmen, es ist quälend, eine Zumutung. Das sollte Claudel auch sein.
Wieder am 6., 7. und 15. April
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