Kultur: Widerstand ist angesagt
Museumsschelte ist fehl am Platz. Zur Debatte um den Hamburger Bahnhof / Von Dieter Brusberg
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Die längst überfällige Diskussion, die durch den plötzlichen Rückzug von Heiner Bastian aus dem Hamburger Bahnhof ausgelöst wurde, ist nur vordergründig der in Form und Inhalt fatalen Überreaktion eines Einzelnen geschuldet. Sie zielt auf Grundsätzliches: den Umgang staatlicher Museen mit privaten Sammlern. Freilich ist der Berliner Fall von besonderer Brisanz. Bastian hat seine weitreichenden Kenntnisse und sein gutes Auge eigenen hochgreifenden händlerischen Ambitionen genauso widmen können wie, dankenswerterweise, der von ihm betreuten Sammlung Marx. Und hat schließlich als Kurator eben dieser Sammlung Museumsweihen erhalten, ist in den Hamburger Bahnhof eingezogen. Dies allerdings war ein in meinen Augen unverzeihlicher Sündenfall staatlicher Museumspolitik; wenngleich bedingt durch eine sehr spezifische Gemengelage Westberliner Provenienz. Aber immerhin: die Sammlung Marx konnte so für Berlin erhalten werden. Ob das auch für die Zukunft gilt, scheint nach den letzten Äußerungen von Erich Marx eher fraglich.
Doch nun attackiert Heiner Bastian (Tagesspiegel vom 12. 3.) just das Museum der Moderne, den Hamburger Bahnhof also, dessen Programm doch ganz maßgeblich durch ihn und die Sammlung Marx geprägt ist. Letzthin im „edlen Wettstreit“ mit der Sammlung Flick, welche sich auf vergleichsweise aggressive Weise der vermeintlichen Avantgarde bemächtigt hat. Und breiten Raum in Anspruch nimmt – diesen aber in durchaus nobel zu nennender Weise überhaupt erst nutzbar gemacht hat. Ist Flicks Einfluss (oder der seiner Händler?) zu groß für Bastians Geschmack geworden? Oder sollten sich gar die staatlichen Kuratoren von privaten Einflüssen emanzipieren wollen? Das wäre nur rechtens und wünschenswert. Denn die so oft beschworene „Private Public Partnership“ kann doch auf Dauer nur funktionieren, wenn im freundschaftlich-kritischen Dialog die vom Bürger beauftragten Museumsleute das letzte, das entscheidende Wort behalten.
Und schließlich: Der Wunsch nach einem großen Ausstellungshaus für die Moderne, nach einer Kunsthalle also, ist allgemein. Im Grundsätzlichen bedarf es da keiner Debatte. Der öffentlichen Diskussion bedürfen allerdings die zu klärenden Fragen nach Gestalt, Ort und, nicht zuletzt, der Finanzierung. So charmant die Vorstellung einer ephemeren „Wolke“ auf dem Schlossplatz auch sein mag, die gewünschte und notwendige Kunsthalle sollte hingegen auf Dauer in der Nachbarschaft des Hamburger Bahnhofs angesiedelt werden: ein Quartier der Moderne.
Warum nun also just die Museumsschelte? Mit überdies aufgewärmten Argumenten, denen auch die Wiederholung keine Schubkraft verleiht. Es ist doch wunderbar, dass ein so großartiger Künstler wie Olafur Eliasson vorzugsweise in Berlin lebt und arbeitet. Und in der Tat war seine große Installation in der Londoner Tate Modern eine einzigartige und wunderbare Seherfahrung. Aber diesen gewaltigen Raum hat nun einmal nur die Tate Modern zu bieten, wenngleich es keine Frage ist, dass Eliasson auch für den Hamburger Bahnhof Großes hätte schaffen können. Hätte Bastian aber die Sammlung Marx ausräumen lassen? Was den von Bastian auch angeführten Thomas Demand betrifft, so hatte ich angesichts seiner Ausstellung im Museum of Modern Art meine Zweifel an der Bedeutung seines Werkes. Und eben solche Zweifel einzubringen, aufmerksam-kritische Distanz zu in Entwicklung befindlichen Künstlern zu wahren, ist nach wie vor unverzichtbare Verpflichtung des Museums. Eine Verpflichtung, welche (als Folge der Sündenfälle in der Vergangenheit?) seit gut drei Jahrzehnten in Vergessenheit zu geraten droht. Die Museen haben sich eben nicht dem jeweils herrschenden Zeitgeist zu beugen. Vielmehr ist Widerstand angesagt gegen das allzu Wohlfeile. Und dieweil die jungen Zeitgenossen (nicht alle, aber doch die meisten) eine breite und unbegreiflicherweise weitgehend kritikfreie Zustimmung finden, sollten wir dankbar dafür sein, dass es noch ein paar Museumsleute gibt, welche dem Museum seinen genuinen Rang erhalten, welche bereit sind, das notwendige Neue am bewährten Alten zu messen. Also Maßstäbe zu setzen.
Noch nie in der Geschichte der Kunst wurde dieser eine so breite Zustimmung gewährt wie heutzutage – auch und gerade für Junges und Jüngstes. Und angesichts des in der Tat durchgeknallten Kunstmarktes und einer kaum noch überschaubaren Zahl von kleinen und großen Ausstellungsinstituten privater und öffentlicher Natur, ist Museumsschelte wahrlich fehl am Platz. Vielmehr gilt es, das kritische Bewusstsein wiederzubeleben. Und uns der originären Aufgabe der Kunst zu besinnen. Es geht ihr doch wohl um Sinnsuche, um Liebe und Tod. Und um den von Goethe beschworenen „Glanz der Form“. So schön also eine Kunsthalle für Berlin wäre, wir werden die Gegenwart nicht bestehen, wenn wir uns nicht auch der Verpflichtungen, die uns aus dem Erbe erwachsen, bewusst sind. Nur dann werden wir der Zukunft gewachsen sein.
Angesichts der jüngsten Einlassungen von Heiner Bastian in der Zeitschrift „Monopol“ sei Postskriptum nur noch festgestellt, dass sich ein Narziss nun selbst ins Abseits gestellt hat. Des Goldmundes beraubt. Es bleibt nur noch: Pein.
Dieter Brusberg ist seit 1982 Galerist in Berlin.
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