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Ein Mann posiert in Florenz als Dante Alighieri, anlässlich der Feierlichkeit zum 750. Geburtstag des italienischen Poeten 2015.

© dpa / picture alliance

Bücher von Luigi Reitani und Kilian Nauhaus: Wie es uns heute trifft

In Peter von Beckers Kolumne geht es diesmal um Luigi Reitanis Abhandlung über Literatur und Flucht und Kilian Nauhaus' Nacherzählung von Dantes Göttlicher Komödie.

Manchmal ist ein Buch so zeitlos wie zugleich hochaktuell. Und selten genug erfassen bereits wenige Seiten einen Stoff, der auch mit einer halben Bibliothek noch längst nicht zur Gänze entfaltet wäre. Als solcher Glücksfall erweist sich: Luigi Reitani „Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur“ (Picus Verlag Wien, 86 Seiten, 9,90 Euro).

Der Verfasser leitet seit 2015 mit intellektuell weitgespannten, die Künste, Politik und Geschichte umfassenden Programmen das Italienische Kulturinstitut in der Botschaft seines Landes am Berliner Tiergarten. Doch von Haus aus ist der gebürtige Süditaliener Germanist an der Universität in Udine und als Herausgeber und Übersetzer von Hölderlin und Schiller wie auch von Schnitzler, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Ernst Jandl oder Elfriede Jelinek hervorgetreten. Sein kleines grünes Büchlein zur Flucht drückt schon im ambivalenten Titel die Wechselspannung aus, welche die Geschichte der Literatur und die ihrer Autoren von Anfang an prägt. Die Menschheitsgeschichte beginnt ja damit, dass nach der Vertreibung aus dem Paradies die Erde zum ersten Fluchtort und dauernden Asyl für die Sterblichen wird. Im Alten und Neuen Testament spielt die Flucht aus Ägypten und später nach Ägypten eine Überlebensrolle. Auch Odysseus wird auf seiner homerischen Irrfahrt zum Flüchtling. Und Dante schreibt, verbannt aus der Heimatstadt Florenz, im Exil die „Göttliche Komödie“. Eine Flucht ins himmlische Reich.

Ästhetische Erleuchtung und ernste Heiterkeit

Von der Bibel über Dante, Goethe (dessen „Italienische Reise“ begann gleichfalls mit einer Flucht) und die imaginären Fliehkräfte Hölderlins spannt Luigi Reitani in seinem auf mehreren Wiener Vorlesungen beruhenden Essay den Bogen bis hin zu Paul Celan. Und dies, bei aller tiefschürfenden Bildung, immer mit leichter Hand. Selbst wenn er über Celans „Todesfuge“ schreibt und die Schoah wachruft, ist da etwas von ästhetischer Erleuchtung und einer ernsten Heiterkeit zu spüren. Heiter im Sinne Schillers – und Adornos. Die Flucht in die Kunst wird dem Künstler auch zur Rettung oder Erlösung. Celan, obwohl er sich am Ende selber nicht mehr zu retten vermochte, spielt mit dem Titel „Todesfuge“ immerhin auf Bach an, den Meister der Fuge, und Reitani erläutert noch in der Kürze sehr einlässlich Celans musikalisch-lyrisches Prinzip, dabei etymologisch darauf verweisend: dass „fuga“ im lateinischen Ursprung Flucht bedeutet.

Mit am Anfang der europäischen Dichtung, nach dem mythischen Homer, steht im ersten der zehn meist „Bukolika“ genannten Hirtengedichte Vergils: ein Flüchtling. Meliboeus ist bei einer politischen Landverteilung sein Gut entzogen worden. Er trifft auf einen zweiten Hirten, Tityrus, der seinen Grund behalten durfte. Und so zitiert Reitani Vergils Meliboeus, der vor über 2000 Jahren (in Michael von Albrechts deutscher Prosa-Übertragung) zu uns spricht: „Wir flüchten aus der Heimat; du aber, Tityrus, liegst seelenruhig im Schatten und lehrst die Wälder ,Schöne Amaryllis’ zu antworten.“

Akkurate Nacherzählung der Dante'schen Reise

Apropos Vergil und nochmals Dante: Wer für die Lektüre der vor gut 700 Jahren verfassten „Göttlichen Komödie“ zum Verständnis etwas Hilfe braucht, dem sei „Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Nacherzählt von Kilian Nauhaus“ empfohlen (Verlag Dohr, Köln, 519 Seiten, 29,80 Euro).

Ich bin auf das 2013 erschienene, jetzt in zweiter Auflage vorliegende Buch des 1960 in Halle geborenen Konzertorganisten und heutigen Kirchenmusikdirektors am Französischen Dom in Berlin erst kürzlich gestoßen. In 33 Kapiteln verbindet Kilian als Hobby-Italianist eine akkurate Nacherzählung aller Gesänge der Dante’schen Reise von der Hölle in den Himmel mit der in den laufenden Text recht umstandslos eingeflochtenen Erklärung von biblisch-mythologischen, kulturgeschichtlichen und mittelalterlich-italienischen Namen, Anspielungen und Eigenheiten der komplexen „Komödie“. Das wirkt manchmal etwas nüchtern, erspart aber viele sonst nötige Kommentare. Und Kilian verweist zu Recht darauf, dass jede Übersetzung den poetischen Reichtum der Dante’schen Dichtung ohnehin nur erahnen lässt.

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