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Carina Linge: „Die Übersetzerin“, 2024

© Galerie Jarmuschek & Partner / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Wie die Zeit verstreicht: Fotografien von Carina Linge in der Galerie Jarmuschek & Partner

Die Künstlerin aus Leipzig inszeniert Fotografien, die an die Gemälde alter Meister erinnern – und gleichzeitig die Gegenwart kommentieren.

Von Angelika Leitzke

Stand:

Die Scheiben sind zersplittert, im Badezimmer liegen abgeschnittene Haarlocken, Fallobst sammelt sich unter einem Baum. Aus einer alten Blechdose quillen Johannisbeeren, ein ausgedienter Oldtimer wartet in der Garage auf seine Verschrottung.

Die Vergänglichkeit hat viele Gesichter, Carina Linge macht sie in ihrer jüngst entstandenen Fotoserie „The Unsaid“ bei Jarmuschek & Partner sichtbar. Die Ausstellung passt perfekt in die Galerie im ehemaligen Wohn- und Atelierhaus des wilhelminischen Hofmalers Anton von Werner: Auch sie zeugt vom Glanz und Verfall vergangener Zeiten. 

Bücher und Totenschädel

Linge schafft via Kamera perfekt arrangierte Stillleben voll sinnlicher Farbigkeit und raffinierter Licht-Schatten-Wirkungen, um Werden und Vergehen, aber auch Sehnsüchte und Erinnerungen mithilfe von Metaphern zu visualisieren. 

Auf einer Fotografie ist ein Hocker unter einer von der Decke herabhängenden Schlinge umgekippt, doch vom Toten, der dort hängen könnte, fehlt jede Spur. Menschen tauchen in den Bildern der Künstlerin nicht auf – es sei denn, sie inszeniert sich selbst.

Wie etwa auf dem Großformat „Die Übersetzerin“, das auf Caravaggios Gemälde des Heiligen Hieronymus beim Studium der Heiligen Schrift anspielt. Erschöpft scheint die Frau über einem Skript eingeschlafen, vor ihr türmen sich Bücher, darunter die Bibel, Literatur über Caravaggio oder Breughel – die alten Meister, deren Motive Linge immer wieder zitiert.

Obenauf thront ein Totenschädel, tradiertes Vanitas-Symbol der Kunstgeschichte, besonders der Barockmalerei. Er taucht auch in einem anderen Exponat auf, versteckt unter einem geblümten Sofa, auf dem bunte Holzklötze an ferne Kindertage erinnern. 

Auch das Bild „Nüsse“ ist in diesem Jahr entstanden.

© Galerie Jarmuschek & Partner / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Es kommen härtere Tage

Es sind schweigsame Bilder, doch auch Schweigsamkeit kann beredt sein, zumal Carina Linge die Ausstellung um Texttafeln ergänzt: „Es kommen härtere Tage“ wird kombiniert mit Strichen, wie sie in Kerkern zum Zählen der Zeit an die Wände gezeichnet wurden. Zudem standen Gedichte von Hölderlin und Hermann Hesse Pate für zwei Werktitel.

Carina Linge, geboren 1976 in Cuxhaven, studierte zunächst für das Lehramt Kunst und Germanistik in Greifswald, danach Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar. 2007 und 2014 erhielt sie dort selbst Lehraufträge. Ihre Arbeiten finden internationale Beachtung und sind unter anderem in der Sammlung des Deutschen Bundestages vertreten. Linge lebt heute in Leipzig. 

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