
© Dado Ruvic/Reuters
Das gefällt nicht allen: Will Youtube negative Bewertungen verstecken?
Ein Vorhaben, das problematisch werden kann: Testweise blendet Youtube negative Bewertungen unter den Videos der Plattform aus. Hilft das gegen Hass im Netz?
Stand:
Der Wortschatz von Youtube-Nutzern hat sich längst zu einer eigenen Sprache verdichtet. Wem Begriffe wie Walkthrough, Lolcat oder Unboxing nichts sagen, den dürfte auch die jüngste Ankündigung der weltweit größten Videoplattform ratlos zurücklassen: „Als Reaktion auf das Feedback der Content-Creator zum Thema gezielte Dislike-Kampagnen testen wir ein paar neue Designs, welche die Anzahl der öffentlichen Dislikes nicht darstellen." Übersetzt: Negativbewertungen von Inhalten könnten in Zukunft nicht mehr dargestellt werden. Das sorgt für Aufruhr unter den 2,3 Milliarden Nutzern.
Das meistgehasste Video des Internets trägt den sperrigen Titel „Youtube Rewind 2018: Everyone Controls Rewind“. Nein, nicht Aufnahmen von hungernden Kindern oder der Jagd auf Robbenbabies ziehen den Hass der Netzgemeinde auf sich. Der am schlechtesten bewertete Clip auf Youtube ist ausgerechnet ein Jahresrückblick von Youtube selbst. Ursprünglich als Anerkennung für die Gemeinschaft gedacht, entwickelte er sich zum viralen Bumerang, in dem sich der gestaute Frust über die Plattform entlud. Knapp 20 Millionen Nutzer drückten den sogenannten Dislike-Button, eine Schaltfläche in Form eines gesenkten Daumens, die unter den Videos zu finden ist.
Mehr als ein plumper Versuch der Imagepflege
Konsumenten ermöglicht sie, Missbilligung gegenüber Inhalten auszudrücken. Für gewöhnlich ist schon beim Aufruf die Anzahl der Bewertungen zu sehen. Das Musikvideo „Baby“ des US-Sängers Justin Bieber, das sieben Jahre lang den Negativrekord hielt, wurde zum Beispiel 2,5 Milliarden mal abgespielt, 17 Millionen mal positiv und 12 Millionen mal negativ beurteilt. Irrelevante Auswüchse einer schnelllebigen Internetkultur?
Die Überlegungen von Youtube dürften mehr sein, als nur ein plumper Versuch der Imagepflege. Vielmehr ist es das sogenannte Review-Bombing, das für die Plattform zunehmend zu einem Problem wird. In konzertierten Aktionen fallen Youtube-Nutzer dabei über einzelne Videos her, die sie oft nicht einmal anschauen. In Zeiten, in denen Youtuber bzw. Webvideoproduzent ein ernstzunehmendes Berufsbild ist, werden mühevoll aufgebaute Existenzen über Nacht zerstört, wenn es ungerechtfertigte „Gefällt mir nicht“-Angaben hagelt.
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Um den Anreiz für solche Hasskampagnen zu dämpfen, erscheint es zunächst nachvollziehbar, dass das optische Zeugnis von Negativbewertungen verschwindet. Das Triumphgefühl des Mobs dürfte deutlich geringer sein, wenn „Erfolge“ nicht zu sehen sind. Noch wird dieser Schritt nur als begrenzter Versuch in einer kleinen Gruppe getestet, doch schon bald könnte die Anzeige flächendeckend verschwinden. Auch wenn das Unternehmen die Bewertungen im Hintergrund weiterhin zählen will.
User äußern Kritik in Sozialen Netzwerken
Doch User äußern Kritik in Sozialen Netzwerken. Das Vorhaben ist nicht unproblematisch: 79 Prozent aller weltweiten Internet-Nutzer haben einen Youtube-Account. Es ist das zweitgrößte soziale Netzwerk nach Facebook und die zweitgrößte Suchmaschine nach Google. Menschen nutzen die Plattform als Nachrichtenquelle, Selbsthilfegruppe oder Ort des Lernens. Bisher konnten die Negativbewertungen dabei helfen, die Qualität eines Videos einzuschätzen. Ohne die „Gefällt mir nicht“-Funktion wird es für Fake News leichter, sich unter glaubwürdige Berichterstattung zu mischen. Auch würde eine öffentliche Feedback-Funktion für die Youtube-Gemeinschaft entfallen. Und: Der Hass wird bleiben, selbst wenn er unsichtbar ist oder sich dann in Kommentaren ausdrückt.
Auch andere Plattformen haben mit Verzerrungen von Bewertungssystemen zu kämpfen. Doch man stelle sich vor, der Onlineversandhändler Amazon würde Rezensionen ausblenden, das Auktionsportal Ebay seine Verkäuferbewertungen deaktivieren oder bei Facebook würden nur positive Emojis angezeigt. Vielleicht kann Youtube sogar vom Onlinehandel lernen. Das Prädikat „Verifizierter Kauf“ hilft dort, glaubwürdige Rezensionen zu erkennen. Warum nicht eine Bewertung nur nach nachweislicher Betrachtung ermöglichen? Erst gucken, dann den Daumen sprechen lassen. So viel Geduld hatten selbst die alten Römer bei Gladiatorenkämpfen. 2000 Jahre später sollte das doch auch in der rauen Arena des World Wide Webs möglich sein.
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