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Der Künstler als Rollenspieler. William Kentridge hält Vorträge und schaut sich in seinen Videoarbeiten gern selber zu.

© Kentridge/Haus der Berliner Festspiele

William Kentridge beim Festival "Foreign Affairs": Lob der Unsicherheit

Zeichenstunde und Höhlengleichnis: Zeitgleich zu seiner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau präsentiert William Kentridge seine "Drawing Lessons" im Haus der Berliner Festspiele.

Von Gregor Dotzauer

Eine unschuldige Frage: „Hast du was zu sagen?“ Der Vater stellt sie, als ihm der Sohn 2012 telefonisch mitteilt, dass er die Charles Eliot Norton Lectures an der Harvard University halten solle. Eine raffinierte Frage. Denn William Kentridge, der südafrikanische Künstler, hat sie in seiner Arbeit immer zugunsten eines Wie beantwortet, das sich nicht durch die Botschaft eines Was ersetzen lässt. Und Sir Sydney Kentridge, sein Vater, der als Anwalt Nelson Mandela verteidigt hat und die Familie des im Gefängnis von Polizeibeamten getöteten Steve Biko, wusste genau, dass der Sohn für das Allerheiligste im amerikanischen Universitätsleben nicht plötzlich seine Strategie der Umwege, Abschweifungen und überraschenden Abkürzungen ändern würde.

„Denke daran, dass du ein Künstler bist, nicht ein Gelehrter“, notiert sich William Kentridge daraufhin noch einmal, aber da ist man nach der ersten Minute schon mittendrin im Motivgewebe seiner „Six Drawing Lessons“, die nun parallel zu seiner Ausstellung im Gropius-Bau im Rahmen des Festivals Foreign Affairs im Haus der Berliner Festspiele an zwei langen Abenden erneut zu erleben waren. Ein Netz aus vermeintlich privaten Details, autobiografisch grundierten Erfahrungen, historischen Tatsachen, philosophischen Lesefrüchten sowie zeichnerischen und filmischen Kommentaren – wenn die Hierarchien von Bild und Text nicht ständig auf den Kopf gestellt würden von diesem sich bis in die letzte Körpergeste kontrollierenden und reflektierenden Mann in seiner Uniform aus weißem Hemd, schwarzer Hose und Kneifbrille am Bande.

Robespierre, die "Zauberflöte", Gewalt in Südafrika: Kentridge assoziiert klug und wild

„Remember you are an artist not a scholar“: Was bei anderen ein Freibrief für ein erratisches und spekulatives Denken sein könnte, zielt bei ihm darauf, den argumentativen Hierarchien einer sich stets überlegen wähnenden Rationalität ein Schnippchen zu schlagen, ohne nur ästhetisch plausibel sein zu wollen. Angesiedelt zwischen den Polen von Licht und Schatten, die im abendländischen Projekt des enlightenment, der Aufklärung, ebenso unheimlich walten wie im Schwarz-Weiß seiner Kohlezeichnungen, wendet er sich gegen die mörderischen Auswüchse einer rein instrumentellen Vernunft. Kentridge, Nachfahre litauischer Juden, betreibt eine Art Dialektik der Aufklärung aus postkolonialer Sicht. Sie findet ihr Kippmoment schon in jenem von Platon im Höhlengleichnis angelegten Aufstieg vom Dunklen ins Helle, der die Eliten eines idealen Staats dazu ermächtigt, die in ihrer Höhlenblindheit gefangenen Menschen notfalls mit Zwang zu befreien.

Der blutige Jakobiner Robespierre gerät dabei an die Seite des weisen Freimaurers Sarastro aus Mozarts „Zauberflöte“, die Kentridge 2005 inszeniert hat, lange nachdem sie Sir Thomas Beecham 1938 in Berlin dirigierte. Und der preußische Genozid an den Herero in Deutsch-Südwestafrika erscheint als Fingerübung für eine sehr viel gründlichere Endlösung. Kentridge versucht sich an Analyse und Synthese zugleich, am Zusammenfügen verstreuter Einzelteile und am Herausstellen der Brüche. Seine „Zeichenstunden“ produzieren Vexierbilder, die im einen Moment zeigen, was der Mensch in der Welt erkennt, und im nächsten, was er in sie hineinprojiziert. Das in Filmaufnahmen gezeigte Studio des Künstlers, der sich, manchmal wunderlich vervielfacht, in seiner eigenen Arbeit betrachtet, wird dabei nicht weniger zur platonischen Höhle als das Haus der Berliner Festspiele selbst.

Man kann seine Lektionen auch als Buch lesen, aber seine charismatische Präsenz fehlt dann

Die „Six Drawings Lessons“ liegen bei Harvard University Press in einem reich illustrierten Leinenband vor – seit wenigen Tagen auch in einer ebenso edlen deutschen Fassung im Verlag der Buchhandlung Walther König. Sie sind unentbehrlich, um der souveränen, geradezu musikalischen Fugierung der Themen auf die Spur zu kommen. Doch ohne die kontrapunktische Simultaneität der Bild- und Wortprojektionen im Bühnenhintergrund, die das schlichte didaktische Prinzip von Powerpoint-Präsentationen lächerlich erscheinen lassen, sind sie so unvollständig wie die Lectures im Netz, die von Kentridges charismatischer Präsenz nur einen YouTube-Schatten vermitteln.

Kentridge verteidigt das Denken von den Rändern her

William Kentridge hat mit seinen Multimedia-Performances eine unverwechselbare Form der Lecture entwickelt – und eine Assoziationslogik, von der sich noch gar nicht sagen lässt, was sie alles leisten kann. Angeregt von einem Ausstellungsprojekt in Peking las der 61-Jährige zuletzt den Modernisten Lu Xun, beschäftigte sich mit der Kulturrevolution und entwickelte die Idee eines „peripheren Denkens“, das seine Kraft von den Rändern her bezieht. Mehr Mitte, die jeder für sich definieren muss, ist in dieser Welt kaum möglich.

Die Kentridge-Ausstellung "NO IT IS!" im Martin-Gropius-Bau läuft noch bis 21.8. (Mi - Mo 10 -19 Uhr). An diesem Sonntag, den 10.7., lädt das Haus der Berliner Festspiele ab 14 Uhr zum Symposium „Landscapes of Uncertainty“ (Eintritt frei), u.a. mit Kentridge und Peter Gallison, und zur Musikperformance "Refuse the Hour" (18 Uhr). Am 13.7. (20 Uhr) präsentiert Kentridge seine Version von Schuberts "Winterreise", zuvor führt die Kapstadter Handspring Puppet Company seine Inszenierung von „Ubu and the Truth Commission“ auf (18 Uhr, wieder Do, 14.7., 19 Uhr). Bis 15.7. zeigt eine "Nachtausstellung" (tgl. ab 22Uhr) weitere Werke von Kentridge und anderen Künstlern, unter anderem im Keller des Hauses. Infos: www.berlinerfestspiele.de

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