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Kultur: Willkommen im Klub

Die Theaterreihe "reich & berühmt" im Berliner PodewilVON CHRISTINE WAHLMan sollte vielleicht in die Kreuzberger Morena-Bar gehen.Dort hört man links von Hanf und rechts von alternativen Energiekonzepten und über allem Techno und schaut - während von vorn Kerzen und von hinten Feuerzeuge angepriesen werden - auf eine Leinwand, die in jeder Hinsicht karnevaleske Familienfestivitäten abbildet.

Die Theaterreihe "reich & berühmt" im Berliner PodewilVON CHRISTINE WAHLMan sollte vielleicht in die Kreuzberger Morena-Bar gehen.Dort hört man links von Hanf und rechts von alternativen Energiekonzepten und über allem Techno und schaut - während von vorn Kerzen und von hinten Feuerzeuge angepriesen werden - auf eine Leinwand, die in jeder Hinsicht karnevaleske Familienfestivitäten abbildet.Als eine assoziative Verknüpfung all dieser Elemente nämlich hat man sich die Dramaturgie der Produktionen von "She She Pop" und "showcase beat le mot" - Performance-Gruppen, während des gemeinsamen Studiums der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen entstanden - vorzustellen.In den angesichts ermatteter Theaterkonzepte durchaus interessant klingenden Wahlverwandtschaften von "Theater und Klubkultur" lag denn auch einer der Schwerpunkte, welche es - neben dem mittlerweile obligaten "Theater im Medienzeitalter" - beim dritten alternativen Theatertreffen "reich & berühmt" im Podewil auszuloten galt.Der Angriff richtete sich zuallererst einmal gegen die bewährten "Pestleichen im Publikum": Das ausschließlich männliche Team von "showcase beat le mot" plaziert das Auditorium in anti-konventioneller Mission auf Ohrensesseln, Teppichen und Schaumgummimatten und bekocht es zudem während der fast vierstündigen Performance "Radar Radar nichts ist egal" mit "lecker Essen" für fünf Mark.(Natürlich darf auch geraucht werden.) "She She Pop" - das exklusiv weibliche Pendant - suggeriert dem mündigen Zuschauer dann gleich vollends die Eigenverantwortung für seine Darbietung: Unter dem Motto "Trust! (Schließlich ist es Ihr Geld)" darf man sich als Sponsor für weitere She-She-Pop-Projekte betätigen und gegen sofortige Barzahlung auf offener Szene aus den "Angeboten des Abends" beispielsweise die "Nummer mit den Ping-Pong-Bällen", die "häßlichste Performerin der Welt" oder "intensive und exklusive Momente" wünschen.Die genannte Szenenfolge hätte man sich dann in etwa so vorzustellen: Eine Performerin tätigt einen ziellosen Wurf mehrerer Tischtennisbälle von insgesamt eineinhalbsekündiger Dauer; eine zweite verknotet sich die Haare unterm Kinn zu einer Art Zopf und verharrt kurz in mißlungener Pose; und anschließend werden die Zuschauer via Aufbietung sämtlicher Reserven aus dem reichen Repertoire weiblicher Verführungsstrategien animiert, sich mit einer der Künstlerinnen zum Rendezvous in einer Art Campingschrank einzuschließen.Abgesehen davon, daß sich infolgedessen eine kleine (männliche) Schlange bildet, sieht ein Teil des Publikums so aus, als sei er gerade dabei, eine unbehagliche Distanz zu seiner Rolle einzunehmen: Wer sein Geld in die permanent kursierenden Sammelbüchslein wirft, sagt schließlich unverhohlen ja zur künstlerischen Prostitution und muß fortan mit der Schuld leben, einen Beitrag zum kulturellen Verfall des Abendlandes geleistet zu haben.Während die She-She-Pop-Frauen also (Ver-)Käuflichkeit und Voyeurismus im weitesten Sinne thematisieren, widmen sich ihre männlichen Kollegen signifikanterweise klassisch maskulinen Domänen wie der technischen Reproduzierbarkeit oder der Abseitsregel: Die Rede ist von multifunktionalen Hochhäusern, ultimativen Strategien gegen den Lauschangriff und digital codierten Liebesbriefen; gespielt wird zum Auftakt Fußball mit verbundenen Augen und zum Abgesang - unter Einbeziehung des Publikums - "Politikerschießen".(Wer im "Superwahljahr" das Kohl- oder das Schröder-Tor trifft, bekommt ein T-Shirt in Größe M oder L.) Ob im Selbstverständnis der Akteure bei dergestaltiger Performance-Kunst dem "politischen Aspekt" tatsächlich der Vorrang vor der schieren Unterhaltung eines Publikums in "angenehmer (Klub-)Atmosphäre" einzuräumen ist, konnte das "Werkstattgespräch" unter der Leitung von Kathrin Tiedemann nicht klären, bevor es in die üblicherweise schwammige Debatte: "Wie politisch ist das Private?" geriet.Fakt ist, daß sowohl "showcase beat le mot" als auch "She She Pop" einem Ansatz folgen, den man mit einem der vielen Schlachtrufe der männlichen Performer als "Oberflächentheater" bezeichnen könnte: Die alternative Theaterkunst flieht vor der Innen- in die stets aufs neue beschworene Channel-Hopping-Wahrnehmung der Außenwelt und erschöpft sich im bloßen Abbilden einer selbstredend postmodernen Realität, die jeglichen fiktionalen Entwurf bereits eingeholt hat.Daß die Nummernprogramme (die zudem in permanenten Reverenzen an die Gießener Vergangenheit mitunter den Charme einer spontanen Privatparty versprühen, bei der alle Beteiligten - und das ist jetzt gänzlich unironisch gemeint - zweifellos viel Spaß hatten) nicht wirklich richtig langweilig werden, liegt daran, daß man beispielsweise mit gelungenen Choreographien für Männer in Skistiefeln und Unterhosen bei der Stange gehalten wird.Also doch wieder zurück ins Morena! Der Kellner, der an diesem Abend vielen einsamen Menschen den Rotwein serviert, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Was glauben Sie denn, ist Kultur?" Das ist authentisch.

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