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Auch Wilmersdorf hat ab Freitag ein Straßenfest zu bieten. Das Fest der Nationen findet auf dem Prager Platz statt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wilmersdorf ist im Kommen: So dünkt es einem Schweden am Prager Platz

Könnte es sein, dass Wilmersdorf plötzlich hip wird, gerade weil es noch nicht hip ist? Unser Autor will das nicht – und doch trägt er selber dazu bei.

Von John Falkirk

Stand:

Meine Freundin und ich schlendern Richtung Westen auf der Barbarossastraße, beide mit einem Eis der hippen Eisdiele Jones in der Goltzstraße in der Hand. Sie: Limette-Minze und Himbeere. Ich: Limette-Minze und Pekannuss-Whisky. „Ah, lecker“, murmeln wir im Chor.

Das Gespräch dreht sich um den Prager Platz, einen unscheinbaren Ort mit Achtzigerjahre Charme, ausgestattet mit einem schlechten Italiener, einem kleinen Einkaufszentrum und einem asiatischen Imbiss, der zu schäbig aussieht, als dass wir ihn probieren wollten.

„Es gibt eine Eisdiele am Prager Platz. Die ist aber eher dürftig, leider“, sagt meine Freundin. Und ich platze heraus: „Jo, aber wenn es so gut wäre wie Jones, wären Horden von Hipstern und Zugezogenen dort. Das wollen wir doch nicht.“ (Sage ich, ein Schwede, der kürzer in Berlin lebt, als Olaf Scholz’ Erinnerung an die Hamburger Bankentreffen reicht).

Bei mir fiel dann aber gleich der Groschen. Ich verbringe genau deshalb gerne Zeit in schäbigen Cafés, müden Kneipen und an unscheinbaren Wilmersdorfer Plätzen, weil sie von der globalen, hippen Kultur völlig verschont bleiben! Am Prager Platz hat sich seit 30 Jahren nichts verändert. Endlich konnte ich es auf den Punkt bringen: Meine Suche nach authentischen Erlebnissen geht so weit, dass ich mittelmäßige Aufbackbrötchen vom Bäcker hochklassigen Leckereien aus französischen Patisserien vorziehe.

Macht mich das zu einem Hipster 3.0? Einem Post-Hipster, der sich optisch überhaupt nicht von den Birkenstock tragenden, mit ironischen „Credit Suisse“-Kappen-ausgerüsteten 30-Jährigen am Maybachufer oder in der Kastanienallee unterscheidet – nur dass er eben in Wilmersdorf in einem ollen Sushi-Laden sitzt. Wie authentisch ist das?

Wäre es nicht echter, einfach nur das gute Eis von Jones zu genießen, ohne sich einen Kopf zu machen? Und torpediere ich nicht die Authentizität des Prager Platzes? Wenn alle dächten wie ich, wäre daraus längst eine neue Goltzstraße geworden. Nur mit schlechterem Eis.

Wir essen unsere Waffeln auf, biegen in die Landshuter Straße ein und kommen pünktlich zu Anne Will nach Hause. Auf jeden Fall wird Sonntagsfernsehen nie hipp sein. Gut so.

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