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Ina Wudtke in ihrer Ausstellung "Eviction" im Projektraum Bethanien.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ina Wudtke im Porträt: Wirfst du mich raus, stell ich dich aus

Die Berliner Künstlerin Ina Wudtke befasst sich in ihrer Ausstellung "Eviction" mit Entmietung und Spekulation. Zudem legt sie als DJ T-INA Darling Swing auf. Eine Begegnung.

Am Anfang war da dieses Loch in ihrer Kellerwand. Und schon bald war da auch die Wut in ihrem Bauch. Darüber, dass der neue Hausbesitzer offensichtlich mit allen Mitteln versuchte, Ina Wudtke aus ihrer 47-Quadratmeter-Bleibe in der Schwedter Straße in Mitte zu vertreiben, um daraus eine Maisonettewohnung für Besserverdiener zu machen. Aus ihrem Kellerabteil fehlten das Fahrrad und Briketts für die Ofenheizung. Ina Wudtke brachte den Diebstahl zur Anzeige, das Ganze landete vor Gericht, doch das Verfahren wurde eingestellt. Die Bauarbeiter, die für die Modernisierung des Hauses zuständig waren, hätten sich in der Kellertür geirrt, hieß es. Wudtkes Hab und Gut blieb unauffindbar.

Die Künstlerin beschloss, nicht klein beizugeben. Nur kostet so ein juristischer Kampf ziemlich viel Energie. „Das macht man nicht einfach nebenher“, sagt sie. Also verwandelte sie ihren Widerstand in Kunst. Zu sehen ist das jetzt im Projektraum Bethanien, in der Ausstellung „Eviction“ (deutsch: Zwangsräumung). Da hängt zum Beispiel ein papierenes Ungetüm von der Decke, 15 Rollen beidseitig mit Prozessakten beklebt. Sieben Jahre haben die gerichtlichen Auseinandersetzungen schließlich gedauert.

Nach besagtem Loch wurde das Dach abgedeckt, sodass Regenwasser in Ina Wudtkes Wohnung rann. Dann hieß es plötzlich, gesundheitsgefährdender Schwamm sei entdeckt worden, sie müsse ausziehen. Ein angefordertes Gutachten bleibt jedoch aus. Mehrere Eigenbedarfsklagen für die komplette Familie des Eigentümers vom Neffen bis zu Nichte trudelten ein.

Als die Miete um 300 Prozent teurer wurde, gab sie auf

Und am Ende? „Ich konnte nicht gewinnen“, sagt Ina Wudtke. Ein Badezimmer und Zentralheizung wurden eingebaut. Das geht auch gegen den Willen des Bewohners, denn beides ist gesetzlich festgelegter Standard. Die Kosten werden auf die Miete umgelegt. 300 Prozent teurer wurde die Wohnung, zu viel für die Künstlerin. Also verließ sie ihre Nachwende-Wohnung, die sie einst mit Ofenheizung und Duschkabine in der Küche bezogen hatte.

Ina Wudtke, geboren 1968, ist eine zarte Person mit einer irritierend mädchenhaften Stimme, sie strahlt eine gewissen Sanftmut aus, wenn sie die Geschichte heute erzählt, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie meinungsstark ist, kritisch, hartnäckig. Eine riesige orangefarbene Revolutionsfaust reckt sich in der Bethanien-Schau bis zur Decke, darin eingelassen ist ein Bildschirm mit einer einzigen Kameraeinstellung. Es ist die Fensteraussicht ihrer Wohnung, die sie verlassen musste. Den „360 000-Euro-Blick“ hat sie dieses Werk genannt.

Ina Wudtke zeigt die Folgen der Modernisierungsgesetze auf

Die Ausstellung geht aber über das persönliche Einzelschicksal hinaus, denn Ina Wudtkes Kunst richtet sich seit jeher gegen gesellschaftliche Missstände. In diesem Fall zeigt sie Folgen der Modernisierungsgesetze auf, die Mieten steigen lassen und Einkommensschwache aus der Stadt drängen, weil sich nur noch Besserverdienende diese vermeintlichen Standards leisten können. Sie sagt, es sei ein Fehler gewesen, die volkseigenen Wohnhäuser der DDR möglichst gewinnbringend an private Eigentümer zu verkaufen und fordert eine Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus. Sie unterstützt Initiativen wie Kotti & Co. Info-Flyer liegen auf einem Tisch im Projektraum aus.

Zum Thema Immobilien hat Ina Wudtke ein Konzeptalbum produziert

Ina Wudtke in ihrer Ausstellung "Eviction" im Projektraum Bethanien.
Ina Wudtke in ihrer Ausstellung "Eviction" im Projektraum Bethanien.

© Doris Spiekermann-Klaas

Fetzen von fetten Beats wehen herüber, in einem hinteren Raum kann man in einem Video Ina Wudtke rappen hören: „I am the law! I am the law!“ Die Künstlerin gibt den bösen Investor, zusammen mit MC Quio performt sie auf einer Demo gegen Gentrifizierung. Denn Musikerin und Produzentin ist sie auch, nennt sich DJ T-INA Darling. Ende der Neunziger gehörte sie zu den Gründerinnen von Berlins erstem weiblichen DJ-Kollektiv Femmes with Fatal Breaks, zehn Jahre lang war sie Resident DJ in Clärchens Ballhaus. Zur Immobilienthematik hat sie ein Konzeptalbum produziert, der Titel: „The Fine Art of Living“. Absolut tanzbar. Hip-Hop, Elektro und Swing. Für den letzten Track hat sie den Modernisierungsbaulärm aus der Schwedter Straße gesampelt.

Als Studentin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg gründete sie 1992 zusammen mit Claudia Reinhardt und Heiko Wichmann die Kunst- und Diskurs-Zeitschrift „NEID“ – als eine starke, feministische Stimme in der männlich dominierten Kunstakademien-Landschaft. Bis 2004 gab Ina Wudtke „NEID“ heraus. Bei den Releasepartys des Magazins sorgte sie für die Musik. Seitdem legt sie auf. „Ich bin in Frankfurt aufgewachsen. Als Kind habe ich mit meiner Mutter im Küchenradio die Sender der GIs gehört“, erzählt sie. Funk, Soul, Swing. Das hat sie geprägt. Und natürlich ist die Musik der Schwarzen für die Künstlerin, die in ihrem Werk historische Marginalisierungen und Machtstrukturen immer mitdenkt und aufdeckt, mehr als reine Unterhaltung, sondern eine Kultur, die sich aus der afrikanischen Tradition des Geschichtenerzählens heraus zu einer Ausdrucksform von Leid und Unterdrückung in der „Neuen Welt“ entwickelte.

Sie nutzt Samplingtechniken für ihre Kunst

„Dass Hip-Hop und Soul, die Musik der Verschleppten, heute die Welt beherrschen, das ist doch das größte Wunder!“, sagt sie. Nur im Kunstkontext, da dominiere immer noch die weiße Musik, Punk, Klassik, Neue Musik. Außer bei Ina Wudtke aka T-INA Darling. Die Sampletechnik wendet sie auch in ihrer bildenden Kunst an. Zum Beispiel in einer Installation über das Wachbataillon der Bundeswehr, jener Truppe, die bei repräsentativen Anlässen eingesetzt wird. Ina Wudtke wunderte sich, dass die Auserwählten nicht nur alle gleich groß, sondern auch gleich weiß sind – also eindeutig kein Querschnitt der Gesellschaft. Sie fotografierte die Soldaten und mischte in ihre Version des Bildes in rhythmischer Abfolge Porträts von Berliner Hip-Hop- Kids, darunter viele mit türkischen und afrodeutschen Wurzeln.

Oder ihre Arbeit „Gaps in Berlin“, ebenfalls zu sehen in der „Eviction“-Ausstellung im Bethanien. Für diese Serie farbiger C-Prints machte sie sich auf die Suche nach Orten in Berlin, an denen sich einst öffentliche jüdische Einrichtungen befanden, die die Infrastruktur der Stadt entscheidend geprägt haben, Synagogen, Schulen, Krankenhäuser, Geschäfte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jedoch sind sie, meist bis heute, verschwunden. Dazu gibt es einen kleinen Text, der die ehemaligen Besitzer und die heutigen Nutzer dieser Stadtflächen und Gebäude benennt. Ina Wudtke erzählt auch hier wieder Geschichten der Verdrängung und füllt mit ihnen kollektive Gedächtnislücken. „Sampling“ ist, qua Definition, eine Art der Neuverarbeitung. Bei Ina Wudtke kann man das ganz wörtlich verstehen als Neuverarbeitung von Geschichte.

Projektraum im Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 16. April, täglich 12-19 Uhr

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