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Kultur: Wissenschaft: Mathe ist wie Klatsch und Tratsch

Ich war nie besonders gut in Mathematik. Nur Bart war noch schlechter als ich.

Ich war nie besonders gut in Mathematik. Nur Bart war noch schlechter als ich. Und Christian, der Rechenfreak, war ein Streber, den keiner leiden konnte. Seitdem frage ich mich, warum sich die Welt in Barts und Christians aufteilt: Warum gibt es einige wenige Auserwählte, die sich in der abstrakten Welt der Mathematik wohl fühlen, während sie uns Außenstehende für immer verschlossen bleibt? Gibt es ein Mathe-Gen?

Ja, sagt der kalifornische Mathematiker Keith Devlin in seinem Buch "Das Mathe-Gen" (Klett-Cotta, 22,49 Euro), und die Überraschung ist: wir alle besitzen es. Jeder, sagt Devlin, verfügt über die angeborene Fähigkeit zur Mathematik. Nur, was ist dann mit mir? Und vor allem: Was ist mit Bart?

Mathe, sagt Devlin, funktioniert ganz ähnlich wie Sprache. Genauer: Mathematik ist wie Klatsch und Tratsch. Sprachforscher sagen: Zwei Drittel aller Gespräche drehen sich um menschliche Beziehungen. Ja, die Struktur der Sprache wurde sogar eigens auf den Tratsch getrimmt. Alle Sprachen der Welt zeigen nämlich die gleiche Grundstruktur: Subjekt-Prädikat-Objekt, zu Deutsch: wer hat wem was getan? Und Mathe ist wie Klatsch: "Mathematiker sind Leute, für die Mathematik so etwas ist wie für andere eine Seifenoper!" In dieser Seifenoper geht es nicht um Liebesbeziehungen und Todesfälle, es finden keine Affären und Hochzeiten statt - aber es geht um Beziehungen zwischen mathematischen Objekten. "Einfach ausgedrückt, betrachten Mathematiker mathematische Objekte und die mathematischen Beziehungen zwischen diesen mit Hilfe der gleichen geistigen Fähigkeiten, mit denen der Rest der Menschheit ansonsten seine Beziehungen zu anderen Menschen behandelt."

Nichts tat Bart aber lieber, als in der Pause über das Privatleben unserer Französischlehrerin zu spekulieren - wieso verweigerte er so hartnäckig den Klatsch und Tratsch der höheren Mathematik? Der Grund ist die Abstraktionsebene, meint Mathematiker Devlin. Menschen sind konkret, mathematische Beziehungen sind mit das Abstrakteste, was der menschliche Geist hervorbringen kann. Mathematiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie es irgendwie schaffen, Spaß auch an diesen abstrakten Beziehungen zu finden. Peu à peu wird ihnen so die abstrakte Welt konkret. Ist die Mathematik also doch lebensfern? Nicht unbedingt - das zeigen auch die Hamburger Mediziner Hans-Peter Beck-Bornholdt und Hans-Hermann Dubben in ihrem Buch "Der Schein der Weisen" (Hoffmann und Campe, 18,39 Euro). Mathematik, so beweisen sie, kann sogar unsere Gesundheit fördern! Während Devlins Buch eher theoretisch ist und fast mehr von Sprachentstehung handelt als von der Mathematik selbst, wimmelt es im "Schein der Weisen" von Beispielen aus der Statistik. Die zentrale Aussage des Buches: Sobald Regeln nicht immer, sondern "nur" oft gelten, versagt unsere Intuition. Alfred zum Beispiel war bei der Krebsvorsorgeuntersuchung. Erstes Laborergebnis: Verdacht auf Mastdarmkrebs. Aus Erfahrung weiß man, dass es bei drei von 100 Gesunden zum falschen Alarm kommt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Darmspiegelung dann tatsächlich Krebs festgestellt wird? 97 Prozent, könnte man annehmen. Schließlich versagt der Test nur zu drei Prozent! In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Obwohl der Test positiv ist, ist Alfred mit 97-prozentiger Wahrscheinlichkeit gesund! Der Test versagt in drei von 100 Fällen - das ist recht viel. Es gibt aber nur sehr wenig Mastdarmkrebskranke, weshalb der Test viel häufiger bei Gesunden als bei tatsächlich Kranken positiv ausfällt. In den meisten Fällen bedeutet ein positives Ergebnis also schlicht: kein Krebs.

Ich war nie gut in Mathe. Aber die beiden Bücher über die Mathematik haben mir gefallen. "Das Mathe-Gen" ist einfach. Sogar Bart könnte seine Freude daran haben. Und den beiden Hamburgern gelingt es sogar, menschliche Schicksale mit der Mathematik zu verbinden - also: Klatsch hoch zwei!

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