
© Kater Demos Cover 1 / 2015
Magazine aus Berlin: Wo hat unsere Zukunft einen Ort?
Suche nach dem besseren Leben. Die Berliner Magazine „Kater Demos“ und „Utopie“ hinterfragen Innovationssucht und Fortschrittsgedanken.
Stand:
Das Internet galt einst als utopischer Ort. Doch die Demokratisierung der Informationskanäle zeitigte bald eine dunkle Seite: Unendlichkeit der Newsfeeds, Fake News, massive Überwachung – Stichworte, die auch ein totalitär durchsetztes Szenario möglich erscheinen lassen. Eine Generationenfrage lautet daher: Wie lässt sich heute eine Öffentlichkeit herstellen, die Zukunft jenseits ökonomischer Kennzahlen als gestaltbar begreift?
Die seit 2015 halbjährlich erscheinende Zeitschrift „Kater Demos“ versucht sich daran. Die monothematischen Hefte richten sich explizit an Digital Natives, also jene, denen oft vorgeworfen werde, unpolitisch zu sein, wie Chefredakteur Alexander Sängerlaub erklärt. Tatsächlich merkt man der Zeitschrift an, dass sie für Menschen gemacht wird, die nicht täglich Zeitung lesen, dafür aber gerne mal Böhmermann schauen oder im Netz Petitionen teilen.
Viele Beiträge vermitteln zugleich Grundlagen und liefern kritischen Hintergrund. So findet sich im aktuellen Heft unter dem Thema „Das Fremde“ etwa ein Artikel zur „Robot-Nation“ Japan, die Pflegearbeit an Maschinen delegiert oder eine Reportage über Umsiedlungsmaßnahmen aus Braunkohlerevieren. Beide verknüpfen gekonnt human interest, Information und die Möglichkeit der Kritik an politischen Entscheidungen. Illustrationen im Comic-Stil, Infokästen und wiederkehrende Rubriken wie der „rote Faden“, der sich mit Beiträgen, beispielsweise zur „Geschichte der Privatsphäre“ durchs Heft zieht, runden das Gesamtkonzept ab.
Eine junge Zielgruppe zum Nachdenken anregen
Der Untertitel – „Das utopische Politikmagazin“ – richtet sich explizit gegen eine Politikverdrossenheit die, wie Sängerlaub betont, auch zu tun hat mit der „ewigen Verwaltung des Status Quo“. Unter utopischem Denken versteht er ein Ausbrechen aus einem Korridor, in dem man sich nicht bewusst macht, wie sehr die Welt von Menschen geformt wird. Insbesondere eine junge Zielgruppe zum Nachdenken und Intervenieren anzuregen, ist das Ziel der gut recherchierten und schick gestalteten Zeitschrift.
Die Utopie, die „Kater Demos“ beschwört, ist die einer sachlich kommunizierenden Öffentlichkeit. Deutlich überwiegt ein pragmatischer Impetus – auch um über den Verdacht erhaben zu sein, man verfolge „Luftschlösser“, wie Sängerlaub anmerkt. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick diagnostizierte einst ein krankhaftes „Utopie-Syndrom“ welches in seiner Realitätsverweigerung wirklichen Fortschritt verhindere. Dieses Denken scheint in Deutschland bis heute zu gelten. Einem vom „Realitäts-Syndrom“ befeuerten Normalismus zu entkommen, scheint schwieriger denn je.
Tagespolitische Bezüge sucht man vergeblich
Diesen Versuch unternehmen andere. Das Berliner „Utopie-Magazin“ präsentiert eine lesenswerte Auswahl an wachstumskritischer und anarchistischer Literatur, die sich mit Folgen, Diagnose und Überwindung der globalen Ökonomie befasst. Die Gründer Camilla Elle und Julio Gomes beschreiben ihre Ausgangssituation als „Unbehagen an einer Zivilisation, die nichts wahrzunehmen scheint als ihre eigene gähnende Leere“. Gleichzeitig überwögen auf Seiten der Kritik entweder dogmatische oder entpolitisierende akademische Positionen. Das vor zwei Jahren ins Leben gerufene Heft erscheint einmal jährlich und hat es sich zur Aufgabe gemacht, „lebendiges utopisches Denken auf die Tagesordnung zu setzen, um Vorstellungswelten wieder zu gewinnen sowie alternative Organisations- und Wirtschaftsweisen in den Blick zu nehmen“. So beschreiben es die Gründer.
Mit einem im deutschsprachigen Angebot seltenen Mix aus Theorie und Ästhetik, wagt sich „Utopie“, das „Magazin für Sinn & Verstand“ heraus aus der Hilflosigkeit. Tagespolitische Bezüge sucht man vergeblich. Stattdessen geht es wie einst bei Thomas Morus ums große Ganze. Dabei richtet sich das Magazin an ein akademisches Publikum, ein wichtiger Fokus liegt auf der Popularisierung ibero-romanischer Autorinnen und Autoren im deutschen Raum.
So finden sich neben Santiago López Petits Theorieschnipseln fiktive Arbeiterdialoge von Jaime Semprún, dem Sohn des Schriftstellers Jorge Semprún. Michael Albert, kanadischer Wirtschaftshistoriker und Vordenker der partizipativen Ökonomie fordert eine sich nicht ausschließlich auf Marx oder Keynes beziehende Kritik an der vorherrschenden Wirtschaftsweise. Auch Klassiker der Fortschrittskritik, wie die französische Mystikerin Simone Weil ebenso wie der hierzulande wenig bekannte Vordenker der Techniksoziologie, Jacques Ellul, kommen zu Wort
Versuch, scheinbare Zwangsläufigkeiten abzuwenden
Ellul notierte in den 50er Jahren prophetisch: „Für die Techniker ist die Technik heilig, obwohl sie keinerlei Grund dafür haben, eine echte Leidenschaft für sie zu hegen. Sie geraten immer aus der Fassung, wenn sie nach dem Beweggrund ihres Glaubens gefragt werden.“ Das lässt an Googles Vorpreschen im Bereich des digital konservierten Bewusstseins oder Predictive Policing denken, kaum erprobte und dabei sehnlichst erwartete Allheilmittel.
Unsterblichkeit, Sicherheit. Wer hat schon was dagegen? Was bei der Eigendynamik dieser Innovationssucht aber auf der Strecke zu bleiben droht, ist das Wozu. Wer profitiert? Es ist das Anliegen beider Zeitschriften, sich dem grundsätzlich zu stellen. Entgegen der von Watzlawick im Hinblick auf die Sowjetunion und die 68er Revolte vorgetragenen Bedenken, der Rekurs auf die Utopie führe zwangsläufig ins Totalitäre, berufen sie sich auf einen offenen Utopie-Begriff im Versuch, scheinbare Zwangsläufigkeiten abzuwenden. Egal, ob es sich um das Horten von Big Data oder das Leiden des Planeten handelt.
Frederic Jage-Bowler
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